Kay Scarpetta 16: Scarpetta
durchleben zu können. Er spult das Band einfach wieder zurück und lässt den Mord Revue passieren, weil es ihn sexuell erregt. Souvenirs sind für gewöhnlich ein Hinweis darauf, dass der Sexualtäter sein Opfer - entweder eine Fremde oder eine entfernte Bekannte - zum Objekt macht. Er ist kein Freund oder Liebhaber. Außer wir haben es mit einem manipulierten Tatort zu tun«, wiederholte er. »Oscar Bane ist hochintelligent, berechnend und einfallsreich.«
Berechnend und einfallsreich genug, um hinaus zu seinem Auto zu laufen und seinen Mantel hineinzuwerfen, damit seine Geschichte, er sei beim Betreten der Wohnung angegriffen worden, sowie das zerrissene T-Shirt und die Verletzungen für die Polizei glaubhafter klangen. Aber wann wollte Oscar Bane, vorausgesetzt, es stimmte, das alles getan haben? Wie Scarpetta vermutete, war es geschehen, nachdem er sich selbst gekratzt und mit der Taschenlampe geschlagen hatte, weil ihm klar geworden war, dass ein Mantel ihn vor diesen Verletzungen geschützt hätte.
»Souvenirs«, sagte Scarpetta. »Vielleicht handelt es sich ja um einen Mörder, der gern etwas mitnimmt und dafür etwas anderes zurücklässt. Gehen wir einmal davon aus, dass der Täter Terri das Fußkettchen angelegt hat, womöglich sogar erst nach dem Mord. So wie die Silberringe in dem Fall, den du vor vielen Jahren in Kalifornien bearbeitet hast. Vier Studentinnen, und nach jedem Mord hat der Täter dem Opfer einen Ring an den Finger gesteckt, wo man normalerweise den Ehering trägt. Allerdings scheint mir ein Silberring etwas völlig anderes zu symbolisieren als ein Fußkettchen.«
»Das eine steht für besitzen wollen - mit diesem Ring nehme ich dich zur Frau«, erklärte Benton. »Das andere für Macht - ich lege dir eine Kette um den Fuß. Jetzt bist du meine Sklavin.«
Weitere Fotos. Ein für zwei Personen gedeckter Tisch. Kerzen, Weingläser, Leinenservietten in blauen Serviettenringen, Brotteller und Salatschä1chen. Mitten auf dem Tisch ein Blumenstrauß. Alles mit Liebe zum Detail aufgebaut, ordentlich arrangiert und makellos zusammenpassend, allerdings ohne Phantasie und Wärme.
»Sie war zwanghaft«, stellte Scarpetta fest. »Eine Perfektionistin. Aber sie hat sich für ihn Mühe gegeben. Ich glaube, Oscar hat ihr viel bedeutet. Spielte Musik, als die Polizei eintraf?«
»Davon steht nichts im Bericht.«
»Lief der Fernseher? Im Wohnzimmer gibt es einen, der jedoch auf dem Foto nicht zu sehen ist. Irgendwelche Hinweise darauf, womit sie gerade beschäftigt gewesen sein könnte, als es an der Tür läutete? Abgesehen davon, dass sie irgendwann im Laufe des Nachmittags gekocht haben muss.«
»Wir wissen nicht viel mehr, als den Fotos und den Berichten zu entnehmen ist.« Er hielt inne. »Weil du die Einzige bist, mit der Oscar Bane reden wollte.«
Scarpetta las den Bericht laut vor. »Der Backofen war auf fünfundneunzig Grad eingestellt, darin befand sich ein ganzes Hähnchen, offenbar bereits gebraten. Sie wollte es nur warm halten. Der frische Spinat im Topf war noch roh. Der Herd war nicht eingeschaltet.«
Noch ein Foto. Eine schwarze Taschenlampe aus Plastik auf dem Teppich neben der Wohnungstür.
Ein weiteres Foto. Ordentlich auf dem Bett ausgebreitete Kleidung. Ein tief ausgeschnittener roter Pullover. Sah nach Kaschmir aus. Eine rote Hose. Offenbar Seide. Schuhe? Davon fehlte jede Spur. Ebenso wie von ihrem Höschen.
Das nächste Foto: Terris verschwollenes Gesicht war ungeschminkt.
Scarpetta überlegte. Offenbar wollte Terri sich festlich und aufreizend kleiden, und zwar in leuchtend rote Stoffe, die sich weich anfühlten. Sie trug einen erotischen BH, einen weniger erotischen Bademantel und Pantoffeln. Vielleicht wollte sie sich erst kurz vor Oscars Ankunft schminken und sich in verführerisches Rot hüllen. Wo waren ihre Schuhe? Möglicherweise zog sie in ihrer eigenen Wohnung ja keine an. Und das Höschen? Viele Frauen verzichteten auf Höschen, möglicherweise auch sie. Allerdings fand Scarpetta, dass das im Widerspruch zu dem stand, was Oscar Bane ihr über Terris Sauberkeitswahn und ihre Angst vor Bakterien erzählt hatte.
»Hatte sie die Angewohnheit, ohne Slip herumzulaufen?«, fragte sie Benton.
»Keine Ahnung.«
»Und wo sind die Schuhe? Ihre Kleidung hat sie so sorgfältig ausgewählt, und dann keine Schuhe? Dafür gibt es drei mögliche Erklärungen. Erstens: Sie hatte sie noch nicht ausgesucht. Zweitens: Der Täter hat
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