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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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da drinnen, Chagny . . . Sind Sie überwältigt vom erstaunlichen Edelmut ihres Vorschlags? Mein Gott, Junge, das sollten Sie aber sein!«
»Erik . . . «
»Verzeih, daß ich dich so grob unterbrochen habe, meine Liebe. Sprich bitte weiter. Sag mir, wie deine wunderbare kleine Oper endet. Ich glaube wirklich nicht, daß du mir zumuten kannst, auf die Premiere zu warten. Was passiert, nachdem wir diese sehr zivilisierte Hochzeit hinter uns haben? Wirfst du dich unter die Räder einer Kutsche, wenn wir aus der Madeleine-Kirche kommen? Oder willst du die wahrhaft große romantische Geste vollziehen, dich in der Hochzeitssuite zu erdolchen? Ich habe ein oder zwei ausgezeichnete Messer, die dem Zweck fabelhaft entsprächen, nicht zu schwer für die Hand einer Dame. Vielleicht möchtest du einen Blick darauf werfen.«
»Ich verstehe dich nicht«, schluchzte sie. »Warum spielst du so mit mir? Noch vor ein paar Stunden hast du versprochen, es würde dir genügen, mich einfach deine Frau nennen zu können.«
»Nun, ich habe meine Meinung geändert!« Ich schrie plötzlich und schleuderte den Orgelstuhl mit so wilder Kraft durch den Raum, daß der rote Baldachin auf den Sarg fiel. »Vielleicht will ich schließlich doch kein Druidenopfer, kein versteinertes kleines Mädchen, das vor meiner Berührung zurückschreckt und im ersten unbewachten Moment Selbstmord zu begehen versucht. Vielleicht will ich keine tote Frau, die in einem gläsernen Sarg liegt. Ich will dich nicht, Christine! Bist du so eitel, so dumm, daß du das nicht begreifst? Ich will dein Mitleid oder deine Angst nicht. Ich will dich nicht!«
Schweigen senkte sich über den Raum, als das Echo meiner wahnsinnigen Wut verklang, und wir starrten einander ungläubig an.
Christine hatte zu weinen aufgehört. Ihre Augen waren plötzlich weit aufgerissen und blickten entsetzt.
»Was willst du?« fragte sie unsicher. »Erik, sag mir, was du willst.«
»Ich spürte, wie ich unter ihrem klaren, reinen Blick schrumpfte. Wieder einmal war ich der kleine Junge, der schreckliche Angst hat, eine Bitte würde abgelehnt. Eine so kleine Sache im Grunde, ein Kuß. Die meisten Menschen denken keinen Augenblick darüber nach. Sie küssen sich, wenn sie sich treffen, sie küssen sich beim Abschied. Diese einfache Berührung gilt als ganz selbstverständlich, als grundlegendes Menschenrecht.
Ich habe fast ein halbes Jahrhundert auf dieser Erde gelebt, ohne zu wissen, wie es ist, wenn man geküßt wird. Und nun werde ich es nie erfahren.
Ich ging zum Kamin und ließ meine Finger abwesend über den Sims gleiten. Irgendwo hier befand sich der Schalter, der einen elektrischen Strom zu den alten, im Keller gelagerten Pulverfässern der Kommune auslösen würde.
Es würde sehr schnell gehen, und es wäre gnädig. Sie würden nicht einmal wissen, was mit ihnen geschah. Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo ich den Schalter angebracht hatte.
Eine Bewegung hinter mir ließ mich herumfahren, ein Reflex, der aus lebenslänglicher Wachsamkeit entstanden war.
Christine stand da.
Sie hatte ihr Gesicht in den Brautschleier gehüllt, und bei diesem Anblick empfand ich plötzlich intensive Reue. Ich hatte dieses Kind völlig aus der Fassung gebracht, ich hatte es zerbrochen in meiner verrückten Entschlossenheit, ihr Herz im Einklang mit meinem schlagen zu lassen. Ich hatte ihr beigebracht, wie ein Engel Gottes zu singen, ich hatte sie mehr geliebt als alles andere auf dieser Welt. Aber meine Liebe hatte sie zerstört, sie zu einem erbarmungswürdigen Geschöpf erniedrigt, das kaum wußte, was es tat. Ich hatte sie ebenso wahnsinnig gemacht, wie ich selbst war.
Als ich sie ansah, hob sie langsam den Schleier von ihrem Gesicht, wie es eine Braut tut, und ich konnte die dunklen Schatten unter ihren tränenglänzenden Augen sehen. Mit zitternden Händen nahm sie mir die Maske ab und ließ sie zwischen uns zu Boden fallen. Dann bewegten sich ihre Finger zögernd zu den glatten Revers meines Abendanzugs.
Noch einen Augenblick stand sie da wie ein ängstlicher Schwimmer auf einer schwindelerregenden Klippe und dachte über einen Sprung nach, der ihren Mut weit überforderte.
»Nimm mich!« flüsterte sie. »Zeig mir . . . «
Ich war verblüfft, fassungslos, konnte kaum glauben, was ich hörte und sah. Mit zitternden Händen hob ich ihr Gesicht an und küßte ihre zerschrammte und blutende Stirn mit der unsicheren Schüchternheit eines erschrockenen Knaben.
Und dann war ich plötzlich nicht mehr der Lehrer,

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