Kay Susan
zu sein. Jeden Moment würde ich aufwachen, schwach vor Erleichterung.
Er wandte sich Christine zu und winkte mir mit einer kurzen Geste, ihm zu folgen. Aus dem Augenwinkel sah ich, daß der Perser in der Tür zur Folterkammer stand und uns wortlos beobachtete.
Erik ergriff Christines Hand und schaute einen Augenblick auf ihre kleinen Finger in seinen langen, skelettartigen Händen. Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, aber er legte ihr einen Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Pst, meine Liebe, es gibt jetzt nichts mehr zu sagen. Alles ist arrangiert. Ich kann dich natürlich nicht in der Kirche zum Traualtar geleiten, daher möchte ich es gern jetzt tun . . . «
Als er ihre Hand in meine legte, bemerkte ich verlegen, daß Tränen über seine eingesunkenen Wangen strömten.
Tränen tropften auf unsere vereinten Hände. Wie ich sah, waren es nicht nur seine Tränen, denn auch Christine weinte jetzt lautlos.
»Ich weiß, es gehört sich nicht, darum zu bitten, aber ich möchte wirklich sehr gern zu eurer Hochzeit eingeladen werden, handschriftlich und durch Boten; man kann sich auf die Post nicht verlassen, verstehen Sie, nicht hier unten. Werden Sie das also für mich tun, junger Mann? Wollen Sie versprechen, sie am Tag vor der Hochzeit zurückzubringen und mir diese Einladung zu überreichen? Ich verspreche, daß ich Sie nicht lange aufhalten werde, aber ich glaube, an einem solchen Tag wäre es wohl zulässig, die Braut zu küssen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich schwach. Der Mann war verrückt und gefährlich und mußte bei Laune gehalten werden. Trotzdem war es nicht leicht, angesichts so unverhüllter Trauer unbewegt zu bleiben. »Ja, ich werde sie zurückbringen . . . am Vortag. Was immer Sie wollen.«
Ich glaube, er lächelte, bei seiner Verunstaltung war das schwer zu erkennen.
»Sie werden die Laterne im Boot finden«, fuhr er ruhig fort. »Christine kennt den Weg auf die andere Seite.«
Er trat zurück und wies mich mit einer Geste an, ihren Arm zu nehmen. Christine machte eine Bewegung auf ihn zu, aber ich packte ihren Arm und hielt sie mit starkem Griff fest, als Erik uns den Rücken zudrehte und unsicher auf den Perser zuging.
»Mein lieber Freund«, sagte er mit plötzlicher, unverkennbarer Zuneigung, die mich erstaunte, »ich hoffe sehr, daß Sie mir die Ehre erweisen werden, im Wohnzimmer Tee zu trinken, bevor Sie gehen.«
Die Antwort des Persers war zu leise, als daß ich sie hätte hören können, aber sie schien zustimmend zu sein, denn nach einem Augenblick des Zögerns gingen die beiden Männer zusammen in einen anderen Raum und schlossen die Tür hinter sich.
Christine starrte die geschlossene Tür ungläubig an, aber als ich sie jetzt am Arm zog, kam sie ohne weiteren Widerstand mit.
Ich versuchte zu übersehen, daß sie noch immer weinte.
2. Kapitel
In den nächsten drei Wochen war ich sehr beschäftigt. Ich eilte durch Paris, um alle Vorkehrungen für eine hastige Hochzeit und eine Überfahrt nach England zu treffen, und zwar so heimlich wie möglich. Wir konnten unmöglich in Frankreich bleiben. Meine Heirat würde als schreckliche mésalliance gelten, Familie und Freunde würden die Nase rümpfen, und da sich so viele Türen vor uns verschlossen, wäre es sehr viel angenehmer, an einen Ort zu gehen, wo man uns nicht kannte. Außerdem wurde ich den Gedanken nicht los, daß es ebenso wichtig wäre, eine möglichst große Entfernung zwischen Christine und das Opernhaus zu legen; der Ärmelkanal erschien mir als geeigneter Graben.
Sie äußerte keine Meinung, als ich vorschlug, wir sollten für eine Weile auf die Insel gehen; sie zeigte weder Freude noch Interesse an meinen Vorkehrungen. Ich versuchte, geduldig zu bleiben. Sie hatte eine schreckliche Prüfung durchgemacht und war noch immer in einem Schockzustand. Ich konnte kaum erwarten, daß sie sagen würde: »Gott sei Dank, daß alles vorbei ist!« und sich benähme, als sei nichts geschehen.
Doch als die Tage vergingen, schien sie immer unruhiger und elender zu werden. Die Schatten unter ihren Augen wurden so dunkel, daß sie aussahen wie blaue Flecken, und sie trug nun, wenn sie – selten genug – das Haus verließ, einen Hut mit einem kleinen Schleier. Sich selbst überlassen, neigte sie dazu, sich vor dem Feuer zusammenzukauern, in die glimmenden Kohlen zu starren und rastlos die Perlen ihres Rosenkranzes durch die Finger gleiten zu lassen.
» Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr
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