Kay Susan
besonders bösartige Kreatur mit einem größeren Anteil an der Erbsünde als gewöhnliche Sterbliche. Tatsächlich war ich ein ganz ergebener und pflichtbewußter kleiner Katholik – bis zu dem Tag, an dem ich erfuhr, daß Tiere keine Seele haben.
Ich erinnere mich nicht mehr, was geschah, nachdem mir diese entsetzliche Offenbarung zuteil geworden war. Ich weiß nicht, was Vater Mansart auf den Gedanken brachte, ich müsse exorziert werden – es muß etwas Schlimmes gewesen sein! Ich weiß nur noch, daß ich nach der grausamen Zeremonie den Priester haßte und auch Gott, diesen Gott, der meiner einzigen Freundin ein Leben nach dem Tod verweigerte. Warum sollten gehässige Menschen eine Seele haben und meine teure Sally nicht? Ich konnte nicht ertragen, daß man mir sagte, ihr Tod wäre ein Abschied für immer.
Sally! So lange ich denken konnte, war sie immer dagewesen, ein warmes, behagliches Wesen, das sich nie von mir abwandte. Sie sah mein Gesicht ohne Maske und leckte mit ihrer rauhen rosa Zunge meine pergamentene Wange.
Als ich sie tot zu meinen Füßen liegen sah, das schöne, goldene Fell von Schmutz verkrustet, schwor ich, an der ganzen menschlichen Spezies Rache zu nehmen für dieses Verbrechen. Ich lernte zu hassen in der Nacht, in der Sally starb. Es war das erste Mal, daß ich diese rücksichtslose Lust auf Blut, diesen unkontrollierbaren, unersättlichen Drang verspürte, zu töten . . . zu töten . . . zu töten.
Das erste Mal . . . aber nicht das letzte Mal.
Der Hunger trieb mich schließlich aus meiner Zuflucht und zwang mich, weiterzulaufen. Ich wanderte nachts und schlief bei Tag. Ein ironisches Schicksal hatte mich mit erstaunlicher Genesungsfähigkeit begabt: Die Wunde, die mir der Messerstich zugefügt hatte, verheilte schnell zu einer dicken braunen Narbe, was mich ermutigte, Dr. Baryés Verbände zu entfernen. Mir war vage bewußt, daß der Wald mich schließlich auf die Straße nach Canteleu führen würde. Ich besaß den Instinkt, mich vor den Menschen zu verstecken, doch mein wachsendes Bedürfnis nach Nahrung schwächte diesen Instinkt mehr und mehr. Außer Wasser hatte ich nichts zu mir genommen, und der Hunger machte mich leichtsinnig.
Als sich wieder einmal die Dunkelheit herabsenkte, verließ ich den Schutz des Waldes und wagte mich hinaus auf die offene Straße, wo Lichter einladend zwinkerten. Lichter bedeuteten Menschen, und wo es Menschen gab, gab es auch Eßbares, das man stehlen konnte. Ich stolperte weiter, bis ich ein Lager aus Zelten und Wohnwagen erreichte.
Zigeuner!
Ich wußte sehr wenig über dieses geheimnisvolle Volk, und das, was ich wußte, war größtenteils Schlechtes; ich hatte es bei Gesprächen zwischen meiner Mutter und Mademoiselle Perrault aufgeschnappt. Die Zigeuner waren Heiden (meiner Mutter zufolge das schlimmste vorstellbare Verbrechen); sie stahlen Kinder (vor allem Kinder, die ihr Abendbrot nicht aufaßen – dies mit einem bösen Blick auf mich); sie waren Vagabunden, ungewaschene und gewissenlose Wüstlinge, denen man nie gestatten durfte, sich in der Nähe anständiger Menschen niederzulassen.
Meine Mutter mochte sie nicht, und infolgedessen empfand ich eine heimliche Sympathie für diese Außenseiter der Gesellschaft.
Trotzdem war ich wachsam und auf der Hut vor Entdeckung, als ich mich in ihr Lager schlich. Eine Gruppe von Pferden war im Innenkreis des Lagers angepflockt. Ihre Wärme und Schönheit ließen mich vorübergehend mein Ziel vergessen. Instinktiv streckte ich die Hand aus, um eine glatte, samtige Nase zu streicheln, und damit verriet ich mich, denn das Pferd wieherte nervös bei dieser Berührung. Sofort wurden die anderen Tiere unruhig. Ein Hund begann zu bellen.
Plötzlich kamen von allen Seiten Laternen auf mich zu. Instinktiv ließ ich mich zu Boden fallen und verbarg mein Gesicht in den Armen, um mich vor den erwarteten Schlägen zu schützen. Ich wurde bei den Schultern gepackt und über den bereiften, mit Blättern bedeckten Boden an ein riesiges Lagerfeuer geschleppt, das in der klaren Frühlingsnacht flackerte. Dort schleuderte man mich vor die Füße eines kleinen Mannes mit tiefschwarzem Schnurrbart und einem einzelnen goldenen Ohrring.
»Steh auf!« befahl er kalt. »Weißt du, was wir mit Dieben machen – mit kleinen Dieben, die ihr Diebsgesicht nicht zeigen wollen? Wir braten sie wie Stachelschweine und dann . . . « er beugte sich vor und zog mich nahe zu sich heran, »und dann essen wir sie!«
Ich hatte keinen
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