Kay Susan
Frühlingsmorgen von Schweiß glänzte, waren schmal und grausam kalt, als sie mich kritisch von oben bis unten musterten.
»Unglaublich«, murmelte er vor sich hin. »Mein ganzes Leben lang habe ich darauf gewartet, so etwas zu finden – etwas wirklich Einmaliges. Sie werden meilenweit anreisen, um einen lebenden Leichnam zu sehen. Ja, das ist es, so werde ich dich nennen . . . den Lebenden Leichnam.«
Ich wich vor ihm zurück bis an die Stangen meines Käfigs und kauerte mich an den rostigen Metallstäben zu einem Bündel zusammen.
»Ich muß jetzt nach Hause«, sagte ich töricht. »Meine Mutter wird nach mir suchen.«
»Den Teufel wird sie!« schnaubte er. »Sicher hat sie den Sarg schon bereitstehen, was?«
»Sarg?« Ich starrte ihn verständnislos an.
»Darin schlafen doch Leichen, nicht wahr?« antwortete er höhnisch. »Ja, das ist eine Idee! Ich nehme statt des Käfigs einen Sarg. Es kann nicht schaden, wenn man den Effekt noch ein bißchen steigert.«
Mit diesen Worten verschloß er den Käfig wieder und verließ mich. Mit benommener Verblüffung starrte ich ihm nach. Mein Kopf war leer. Ich begriff nicht, warum ich mich in einem Käfig befand und was mit mir passieren würde, aber ich hatte das Verhalten des Mannes als bedrohlich genug empfunden, um in unsinnige Panik zu geraten.
Hektisch begann ich, mir an dem Schloß zu schaffen zu machen. Unter anderen Umständen, bei ruhigem Verstand und mit einer einzigen Haarnadel hätte ich mich binnen Minuten befreit, aber in dem Käfig gab es nichts, was meinen Zwecken hätte dienen können. Ich lehnte mich auf den Lumpenstapel zurück und sah zu, wie die bleiche Sonne hinter dem Wald in einem trüben Glanz versank. Die Kinder mit ihren Stöcken kamen zurück. Gleichgültig und fast ohne Gefühl ließ ich zu, daß sie mich blutig stachen, und da ich nicht reagierte, langweilten sie sich bald und wandten sich anderen Vergnügungen zu.
In der Dämmerung kam der Mann namens Javert zurück und zwängte einen Blechnapf mit widerlichem Eintopf und eine geflickte Decke durch die Gitterstäbe des Käfigs.
Hoffnungsvoll setzte ich mich auf.
»Bitte, Monsieur, darf ich jetzt nach Hause gehen?« flüsterte ich.
Ich war wie ein sehr kleines Kind, das den einzigen Satz wiederholt, den es kennt. Als ich ihn immer wieder sagte, wurde er böse und schlug nach mir.
»Kannst du sonst nichts sagen, du dummes Geschöpf? Ich bin dein Gejammer leid. Eines kannst du deinem verschrobenen Gehirn einprägen – falls du überhaupt ein Gehirn hast, was ich ernstlich bezweifle. Du bist meine Entdeckung, mein Geschöpf und mein Besitz. Du willst nicht essen – gut, ich habe zu viele Tiere dressiert, um auf diesen alten Trick hereinzufallen. Du wirst aus eigenem Willen essen, oder ich werde dir jeden Bissen mit eigener Hand in deinen häßlichen Schlund stopfen. Du gehst nicht nach Hause, und du stirbst mir auch nicht weg, hast du das verstanden, du hirnloses kleines Monster? Du wirst tun, was man dir sagt, oder du wirst es büßen, verstanden? Und jetzt iß – friß, du verdammtes Ding!«
Er packte meinen Kopf und fing an, mir Essen in den Mund zu stopfen, bis ich ächzte und würgte; doch merkwürdigerweise wurde er dabei nicht noch wütender.
»Sehr klug«, sagte er gelassen, »aber wenn du denkst, das würde mich aufhalten, dann irrst du dich. Ich bin ein überaus geduldiger Mann, auch wenn es nicht danach aussieht. Ich kann die ganze Nacht hier sitzenbleiben. Es liegt also an dir, kleiner Leichnam, es liegt ganz allein an dir, wie lange du halsstarrig sein willst.«
Ich weiß nicht, wie lange diese Tortur dauerte. Es schienen Stunden zu sein. Die Sterne blinkten am Himmel, und der Mann stank wie der Boden meines Käfigs. Irgendwann hatte ich die Grenze meiner Ausdauer erreicht und kapitulierte vor seiner körperlichen Kraft und unerschütterlichen Entschlossenheit.
»Ich mag Tiere, die ihren Herrn respektieren«, sagte er befriedigt. »Es hat noch nie ein Tier gegeben, das den alten Javert besiegt hätte.«
Als er am nächsten Tag zu mir kam, machte ich nicht den Fehler, das Essen zu verweigern oder zu verlangen, nach Hause gehen zu dürfen, sondern fragte statt dessen, was er mit mir vorhabe.
Meine Frage schien ihn zu überraschen.
»Natürlich werde ich dich ausstellen! Was sollte ich sonst mit dir machen? Die Leute zahlen gut, um Mißgeburten zu sehen, weißt du das nicht? Weißt du denn gar nichts von der Welt?«
Entsetzt und ungläubig starrte ich ihn an.
»Sie werden
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