Kayankaya 4 - Kismet
ausdenken, um den Chef zu sprechen? Im Bundeskanzleramt?«
Ich nickte. »Muß an dem Plakat draußen gelegen haben. Ich dachte, jemand, der sich das eigene Foto zwanzig Quadratmeter groß vor die Nase hängt, leidet an irgendwas, das ihm verbietet, mit nicht ganz so wichtigen Leuten zu reden.«
»FIm«, machte sie zustimmend, »aber…«, sie sah mir abschätzend in die Augen, »… doof ist er darum nicht.«
Wieder nickte ich. »Hab ich mir schon gedacht. In Personalfragen isser jedenfalls ‘ne Wucht.«
Diesmal entstand das Lächeln ganz langsam. Erst schob sie noch skeptisch den Unterkiefer zur Seite, dann bildeten sich winzige Fältchen um ihre Augen, die Lippen öffneten sich, und ihre Pupillen begannen zu flimmern - oder bei mir begann es zu flimmern.
Sie deutete den Gang hinunter. »Da vorne ist ein Aufzug. Vierter Stock, Sie können seine Tür nicht verfehlen.«
Ich bedankte mich und guckte sie noch ein bißchen länger an, und sie ließ es noch mal flimmern.
Am Ende des üblich schäbigen Büroflurs mit Neonröhren, Plastikboden und Türen, von denen der Lack blätterte, befand sich etwas, das auf den ersten Blick aussah wie ein Stück Kulisse für ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Eine vier Meter breite, dunkelbraune Flügeltür, deren Rahmen abwechselnd mit silbernen und goldenen Sonnen, Monden und Sternen beschlagen war. Die Klinke stellte einen liegenden Engel dar, und um das Doktor-Ahrens-Namensschild tanzten weitere Engel Ringelreihen. Zwei weiße Marmorsäulen flankierten die Tür, davor lag ein roter Teppich mit silbern eingestickter Meerjungfrau, und an den Wänden links und rechts hingen Lampen wie Holzfackeln.
Soweit ich es beurteilen konnte, waren Gold, Silber und Marmor echt. Auf mein zweites Klopfen ertönte ein knappes: »Ja, bitte!« Ich drückte den Engel und trat ein.
Die erste Überraschung hätte eigentlich gar keine sein dürfen. Doch offenbar hatte ich mir im Hinterkopf irgendeine Erklärung für die Gestaltung der Tür zurechtgelegt. Sie sei das Überbleibsel einer Geburtstagsfeier, vielleicht das Geschenk der esoterisch bewegten Ehefrau oder die Arbeitsprobe eines durchgeknallten Raumausstatters. Tatsächlich war die Tür nur der relativ bescheidene Eingang ins Reich von Scheich Suppe. Eine etwa zweihundert Quadratmeter große Wüstenphantasie tat sich vor mir auf: Goldgelb leuchtende Wände mit Farbsprenkeln in allen möglichen Rottönen, eine mit gewelltem, hellblauem Samt bezogene Decke und ein sandfarbener Teppichboden, auf dem Zebra- und Tigerfellimitationen lagen. Die gläsernen Außenwände wurden in Fünfmeterabständen von schwarzem, flächigem Metall gehalten, das zu Schattenrissen von Palmen und Kakteen geschnitten war, deren Blätter und Arme in die Scheiben hineinzuwachsen schienen. In der einen Ecke standen mit Pelzen bezogene Sessel um eine flache, lederbezogene Trommel. In der anderen befand sich ein riesiges zimtfarbenes Bett mit einem Haufen Kissen in Formen und Farben von überdimensionalen Kokosnüssen und Bananen. Und über allem schwebte aus dem hellblauen Samt ein über die ganze Decke verteiltes Lichterarrangement, in dem sich sämtliche Sternzeichen wiederfanden.
Ich hatte mich wohl eine Weile nicht vom Fleck gerührt, als es aus der Saalmitte tönte: »Ham wir’s bald?«
Ich schloß die Tür hinter mir und machte mich auf den Weg zu einem Schreibtisch mit eingeschnitzten Löwenköpfen.
Die zweite Überraschung war Doktor Ahrens. Seine Haare waren nicht grau, sondern schwarz, er trug keine Brille und wirkte überhaupt mindestens zwanzig Jahre jünger als auf dem Plakat. Sie hatten ganz schön an ihm rumgefummelt, damit er auf dem Foto halbwegs wie einer rüberkam, dem man abnahm, daß er was mit Tütensupperi am Hut hatte. So, wie er jetzt vor mir saß, hätte er Reklame für Doping machen können. Alles spannte sich um ihn: Ein schwarzes Stretch-T-Shirt um seinen Rausschmeißer-Oberkörper, eine Goldkette um seinen Stiernacken, und selbst das Band der enormen Sportuhr an seinem Handgelenk schien kurz vorm Zerreißen. Entweder war ein Teil seiner Muskelmasse auf dem Foto wegretuschiert worden, oder man hatte seinen Kopf auf einen anderen Körper geklebt.
Die dritte Überraschung war, daß ein Mann, der sich seine Bude einrichtete, als ob er am liebsten den ganzen Tag nichts anderes machte, als Flötenmusik zu hören, Sonnengebete zu murmeln und Trockenobst zu knabbern, eine Ausstrahlung hatte, daß man sich in seiner Nähe eine wärmere
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