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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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aus hätte es noch ewig so weitergehen können. Ein paarmal sprangen die beiden zur Seite gegen Türen, aber in einem Heim, in dem schrottreife Sessel an den Boden geschraubt wurden, ließ man selbstverständlich nichts unabgeschlossen. Sozusagen als Bonusgeschenk für mich, verloren sie beim Klinkenreißen ihre Pistolen.
    Der ehemalige Jugendherbergsflur zog sich durchs ganze Gebäude, war siebzig bis achtzig Meter lang, und endete an einer Wand. Die letzte Möglichkeit rauszukommen war die Sekretariatstür. Die Jungs wußten nicht, wie der Flur endete, und wegen der mangelnden Beleuchtung konnten sie es nicht rechtzeitig erkennen. Als sie merkten, was sie erwartete, war es für die Sekretariatstür zu spät. Es folgten noch etwa zehn Meter toter Raum, bis sie im wahrsten Sinn des Wortes versuchten die Wände hochzugehen. Sie krallten ihre Fingernägel in den Gips und hüpften auf und ab. Nachdem ich die Sekretariatstür passiert hatte, trat ich auf die Bremse und schaffte es, die Stoßstange auf ungefähr null Millimeter Abstand an ihre Beine heranzufahren. Ich konnte noch erkennen, wie sie es nicht schafften, sich aus der Klemme zu befreien, bevor sich eine Wolke aus Gipsstaub über uns legte. Ich zog den Schlüssel ab, lehnte mich in den Sitz zurück und trat die Windschutzscheibe ein. Als ich kurz darauf auf der Motorhaube stand und der Staub sich legte, sah ich Frau Schmidtbauer, wie sie sich entgeistert über das in den Flur beugte, was mal ihre Sekretariatswarid gewesen war.
    »Hallo!« rief ich launig und winkte ihr zu. »Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen keine Verstärkung rufen.« Sie sah mich an, schüttelte den Kopf, wie um ein Trugbild zu verscheuchen, und verschwand hinter dem Schutthaufen. Vom Treppenhaus her schwollen Getrampel und Rufe an. Ich wandte mich zu den Jungs. Weiß eingestaubt, mit hängenden Schultern und schreckverzerrten Gesichtern schauten sie zu mir auf, als sei ich irgendein Barbarenkönig, dafür bekannt, Gefangenen die Ohren abzuschneiden. »Na, Jungs? Jutet Ding, wa?«
    Sie antworteten nicht. Erst jetzt bemerkte ich, daß wohl nicht nur der Schreck ihre Gesichter verzerrte. Null Millimeter Abstand zwischen der Stoßstange und ihren Beinen stimmte zwar irgendwie, aber genaugenommen betrug er einige Zentimeter minus. Ihre Beine machten einen ungewöhnlichen Knick, und so still wie sie hielten, mußte jede Bewegung mit gewaltigen Schmerzen verbunden sein. Abmurkserkumpel wirkte besonders hinüber. Was allerdings auch daran lag, daß sich eins der evangelischen Plakate in seiner Jacke verfangen hatte und er mit dem quer über seiner Brust prangenden Aufruf Ich steh auf Völkervielfalt aussah, als hätten sich ein paar Waldorfschüler einen Naziwitz mit ihm erlaubt.
    Ich warf ihnen den Autoschlüssel zu. »Parkt ihn irgendwo anders. Glaub, er steht hier nicht so gut.« Ich zwinkerte ihnen zu: »Spaß mit Kacke«, tippte mir zum Abschied an die Stirn, drehte mich um, stieg übers Autodach und sprang auf den Boden. Im Sekretariat saß Gregor auf einem Stuhl, die Beine auf den Schreibtisch hochgelegt, unter ihm eine Blutpfütze, hinter ihm Frau Schmidtbauer beim Telefonieren. Obwohl sehr bleichgesichtig, wirkte er alles in allem überraschend gut beieinander. Vermutlich lag es an meinem matschverschmierten, eingestaubten Äußeren, jedenfalls sahen wir uns an, während ich vorbeiging, wie zwei Leute, die rätselten, woher sie den anderen noch mal kannten. Ein paar Meter weiter kamen mir die ersten sich verdutzt und neugierig umschauenden Heimbewohner entgegen. Kurz darauf ein stark schwitzender Mann im Anzug, der hysterisch nach Luft schnappte und zwischendurch Worte herauspreßte wie: »Nein!«, »Himmel!«, »Katastrophe!« Vermutlich der Heimleiter. Als er mich am Ärmel festhielt und anhechelte, was das hier zu bedeuten habe, zuckte ich mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich bin der Elektriker, aber um neue Leitungen zu verlegen, sind die Maueröffnungen ehrlich gesagt ein bißchen groß geraten.«
    »Maueröffnungen…?!«
    »Hm. Wenn man unter Putz verlegen will. Ich hätt’s sowieso eher über Putz verlegt. Bißchen Farbe drüber, sieht man doch kaum. Und war auch viel billiger gewesen.«
    »Billiger!« stieß er mit heraustretenden Augen hervor, ließ meinen Arm los und hastete weiter.
    Leila wartete dort, wo sich vorher die Schwingtür befunden hatte. Sie trug eine teuer aussehende, dunkelbraune Pelzjacke, grüne Wollstrumpfhosen und Wanderstiefel. Neben ihren Beinen standen

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