Kaylin und das Geheimnis des Turms
Zorn stellen will.”
Kaylin nickte. Sie warf einen Blick zurück zu Severn. Er nickte einmal und wendete sich wieder seinem Essen zu. Und dem Gespräch zwischen ihm und Teela, das von Schweigen durchbrochen wurde wie ein Fluss von großen Steinen.
Der Brunnen war so schlicht, so ungeschmückt, dass er nicht in den Garten zu passen schien. In ihm thronte keine elegante Statue, keine Alabasterarmee, keine Säulen, keine komischen Fische. Nur ein Wasserstrahl in einem Steinbecken, dessen Rand breit genug war, um darauf zu sitzen. Die Lordgemahlin setzte sich und deutete mit einem einfachen Kopfnicken an, dass Kaylin es ihr gleichtun sollte.
“Ihr kennt ihre Namen”, sagte Kaylin.
Und die Lordgemahlin hob eine blasse Augenbraue. “Ist das sterblich, so abrupt und ohne sich in unnützen Höflichkeiten zu ergehen zu sprechen?”
“Ich kann nicht für die anderen sprechen”, antwortete Kaylin, “aber wir empfinden Zeit anders. Oder ich tue es wenigstens”, räumte sie ein und dachte an ihre Lehrer in den Gesetzeshallen, die stundenlang vor sich hin reden konnten, ohne Unterbrechung, außer zum Atemholen. Und manchmal, besonders wenn sie wie so oft in ihrer Anwesenheit die Farbe wechselten, fragte sie sich, ob sie das überhaupt taten.
“Dann sei sterblich”, entgegnete die Lordgemahlin. “Denn die Zeit hier kommt endlich zu einem Ende. Für mich”, setzte sie leise hinzu. “
Leoswuld
ist nah, und ich bin daran gebunden.”
Kaylin runzelte die Stirn und versuchte sich in der kurzen Zeit, die ihr dieser Gesichtsausdruck schenkte, zu entscheiden, wie direkt sie sein durfte. Sie brauchte nicht lange dazu, sie war immer noch Kaylin. “Wenn ich raten müsste”, sagte sie, und versuchte, taktvoll zu sein oder wenigstens so zu tun, “würde ich sagen, Ihr seid nicht daran gebunden, sondern Ihr seid die treibende Kraft dahinter.”
Das Schweigen der Lordgemahlin war merkwürdig vielschichtig, und in seinen Ebenen schien Musik zu spielen. Eine seltsame Musik, etwas, das man gerade so hören, aber nicht fassen konnte.
“Es ist keine Kutsche, kein Pferd, das man antreiben kann”, sagte sie schließlich. “Aber, Kaylin … ich glaube, du hast die Quelle gesehen.”
Kaylin hätte lügen können. Oder es wenigstens versuchen. Sie hätte bluffen können, darin war sie ein wenig besser. Sie hätte auch versuchen können, die Lordgemahlin zu verwirren, was so ähnlich war, wie sich selbst dumm zu stellen, und das half ihr manchmal aus wirklich kniffligen Situationen.
Sie tat es nicht. Sie nickte einfach.
“Dann verstehst du es”, sagte die Lordgemahlin leise.
“Aber das tue ich nicht.”
“Kannst du wirklich die Quelle gesehen, berührt und verlassen haben, ohne verändert zu sein?” Ihre Augen waren grün und hell, aber sie waren auch leicht zusammengekniffen. Sie hatte nicht den Verdacht, dass Kaylin log. Sie versuchte auf ihre ganz eigene Art die Lücke aus Rassenunterschieden, die zwischen ihnen bestand, zu verkleinern. Es war eine verdammt große Lücke und keine Brücke zu sehen.
“Nein”, antwortete Kaylin, “nicht unverändert.”
Die Lordgemahlin nickte. “Du hast einen Namen gewählt”, sagte sie.
Dieses Mal nickte Kaylin. Und dann legte sie die Stirn in Falten. “Woher wisst Ihr …”
“Ich kann sehen, dass du einen Namen trägst”, erklärte die Lordgemahlin. Und dann veränderte sich ihr Tonfall. “Oder zwei.” Und sie sah Kaylin in die Augen und hielt sie gefangen. Erwartete Antworten.
Kaylin hob ihre linke Hand. Sie war taub und kribbelte, das hatte nie aufgehört. Sie konnte ihre Finger krümmen, aber die Bewegungen fielen ihr schwer. Das Wort, das sie aus dem Fluss der Worte gezogen hatte, konnte sie allerdings nicht mehr sehen. Sie sah die Linien in ihrer Hand, den Hügel ihrer Handfläche, die merkwürdige Geografie ihres Fleisches.
Und wusste in dem Augenblick, dass sie nach etwas anderem suche – wer dachte schließlich von seiner eigenen verdammten Hand als
Geografie
?
“Ich musste irgendwie zwei nehmen”, sagte sie, als gestünde sie ein Verbrechen. “Ich …” Sie zuckte zusammen. “Ich konnte nicht eher gehen.”
“Doch dein Begleiter trägt keine solche … Veränderung.”
“Nein.”
“Wie kann das sein?”
“Er musste nicht.”
Die Lordgemahlin runzelte die Stirn,
“Wir verändern uns nicht so gern”, sagte Kaylin. “Ich hätte gedacht, Barrani – die sich so wenig verändern – mögen das noch viel weniger.”
“Wir denken über einige
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