Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
Vom Netzwerk:
Bett. Es gab auch keinen Thron, keinen Schreibtisch, keine Regale, es war fast leer, das Einzige, was den Blick auf sich lenkte war – ja – Buntglas.
    Aber dieses Glas war anders.
    Wie ein Mosaik zeigte es das Heer der verlorenen Barrani; in Schwarz gekleidet, ihrer Waffen und Rüstungen und ihrer Würde beraubt. Sie starrte voller Schrecken darauf, und langsam wurde ihr etwas klar. Sie streckte ihre Hand aus, fast ohne es zu wollen, und berührte eines der Gesichter, das in Glas festgehalten worden war.
    “Es ist … eine Erinnerung”, sagte der Lord des Barranihofes mit belegter Stimme. “Für denjenigen, der diese Hallen regiert.”
    Sie sprach, ohne ihren Blick von dem Fenster abzuwenden. “Das war seine Prüfung, oder?”
    “Ja.”
    “Hier zu stehen. Sie zu sehen. Mit ihnen zu sprechen.”
    “Ja.”
    “Sie wieder zu verlassen.”
    Der dritte Satz blieb unkommentiert.
    “Diese Prüfung hat er nicht bestanden.”
    Und aus der Ecke des Raumes, unsichtbar, bis sie ihre Stimme erhob, antwortete die Lordgemahlin: “Ja.”
    Kaylin, die der Lord des Barranihofes nicht berührt hatte, versäumte es nicht, sich an die Lordgemahlin zu wenden, die in ihren blassen Roben mit ihren mitternachtsblauen Augen dasaß. “Ich habe dir gesagt”, sagte sie leise, “du sollst dich nicht einmischen.”
    Kaylin begegnete ihrem Blick. “Ihr seid ihm nachgegangen”, sagte sie. Es war keine Frage. “Er hat versagt. Das habt Ihr gewusst. Und Ihr seid zu ihm gegangen.”
    Der Lord des Barranihofes begann zu sprechen, doch seine Gemahlin hob eine Hand. Es war keine hoheitliche Geste und auch keine richtige Bitte. Dennoch verstummte er und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Er sah … alt aus. Sosehr das bei jemandem mit ewiger Jugend möglich war.
    “So funktioniert der Turm nicht”, setzte sie an.
    “Tut er
doch”
, sagte Kaylin scharf. “Für Euch. Für die Lordgemahlin. Sehr wohl. Ihr könnt Euch frei darin bewegen. Ihr
müsst
Euch frei darin bewegen können. Das habt Ihr selbst gesagt. Ich habe nur nicht genug aufgepasst.”
    “Du hast dich selbst gerade frei in ihm bewegt”, entgegnete die Lordgemahlin mit ferner, ruhiger Stimme.
    “Nein. Habe ich nicht. Ich bin einfach den Weg gegangen, der sich mir eröffnete. Der Pfad der Turmprüfung ist ein anderer. Niemand konnte ihm folgen … niemand außer Euch.”
    “Du hast das Auge eines Falken”, entgegnete die Lordgemahlin, deren Stimme langsam ungehalten wurde.
    “Ihr kennt all ihre Namen.”
    “Ich weiß einiges von ihnen”, räumte die Lordgemahlin ein, “aber ich trage sie nicht.”
    “Ihr tragt wenigstens einen.”
    Das Schweigen breitete sich aus und bekam scharfe Kanten. Severn sah nicht länger zum Fenster. Und er hatte seine Waffe nicht wieder um seine Hüfte geschlungen, obwohl sie sehen konnte, dass die Kette tatsächlich zerteilt worden war.
    “Ja”, sagte der Lord des Barranihofes. “Sie trägt wenigstens einen, und den schon seit Jahrhunderten. Sie hat ihn gegen die Dunkelheit verteidigt.”
    “Sie verliert.”
    “Sie hat schon verloren”, war die grimmige Antwort, “lange, ehe sie noch einmal berühren konnte, was sie fortgegeben hat.”
    Und die Lordgemahlin fuhr mit kühler, hoheitsvoller Stimme fort: “Du hast die Wahrheit der Hohen Hallen gesehen. Und du verstehst sie. Du wirst nicht behaupten, dass es sich um Illusionen oder eine Prüfung handelt. Du weißt, was diejenigen erwartet, die versagen.”
    Kaylin nickte.
    “Ich konnte nicht zulassen, dass mein Sohn sich ihnen anschließt.”
    “Und so”, sagte der Lord des Barranihofes, “hat auch sie versagt.”
    “Und Ihr konntet ihn nicht umbringen”, sagte Kaylin leise. “Nicht, ohne dass das Verbrechen ans Licht kommt.”
    “Oh, ich hätte es gekonnt”, war die düstere Antwort des Kastenlords. “Nicht nach seiner Rückkehr. Dann nicht. Aber später.”
    “Ihr habt es nicht getan.”
    “Nein.”
    “Warum?”
    “Weil”, antwortete die Lordgemahlin, und in ihrer perfekten Haltung schien sich ein kleiner Riss zu öffnen, “er der Dunkelheit gehört. Nur, indem er lebt, wird er ihr vorenthalten.”
    “Er hat versucht, sich umzubringen.”
    “Nein. Er versteht, was ihn erwartet. Er hat versucht, sich seines Namens zu entledigen und unsterblich zu werden.”
    “Und jetzt?”
    “Mein zweiter Sohn hat sich der Prüfung des Turmes gestellt, und dort hat er unsere Antwort gefunden. Eine sehr bittere Antwort”, setzte sie noch hinzu. “Doch meine Macht über

Weitere Kostenlose Bücher