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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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kann. Der Junge war arm, und keine Familie beansprucht ihn für sich. Er hatte kaum etwas, was sich zu stehlen lohnte.”
    “Wiederbeschaffung, Sir?”
    Er nickte. “Bringt die Leiche zu uns in die Hallen. Die Beschauer warten schon.”
    Severn begann zur Tür zu gehen. Kaylin starrte die bewegten Bilder an, die über die glänzende Oberfläche des Spiegels flackerten. Sie sah allerdings nicht lange hin – Severn wusste offensichtlich, wohin sie zu gehen hatten.
    Tiamaris schwieg den ganzen weg hinab zu Old Nestor. Die Marktschreier und Kaufleute, die wie immer den Preis ihrer Waren ausriefen, verstummten, wenn sein grollender Blick sie traf. Sie fragte sich, ob das daran lag, dass er ein Drache war, oder weil er so aussah, als würde er jeden Augenblick jemanden umbringen. Jedenfalls war sie beeindruckt. Wenn sie sich einen solchen Blick angewöhnen könnte, würde es viel schneller gehen, sich in Elantra fortzubewegen. Wenigstens, wenn sie nicht als Falke angezogen war, und natürlich war sie das auf diesem Weg nicht.
    Severn fiel mit ihr in Gleichschritt.
    “Wo bist du gewesen?”, fragte er.
    “Geht dich nichts an.”
    Er zuckte mit den Schultern. “Bei den Wölfen wurde Unpünktlichkeit nicht gern gesehen.”
    “Bei den Wölfen wird
nichts
gern gesehen.”
    Sein kurzes, abgehacktes Lachen überraschte sie. Aber weil es stimmte, erhob er keinen Einwand. “Ich hatte den Eindruck, dass es auch bei den Falken nicht gern gesehen wird.”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Ich bin immer noch ein Falke.”
    “Ja. Anscheinend werden im Büro Wetten darauf abgeschlossen.”
    Sie verdrehte ihre Augen. Severn war genau wie sie, auch er war in den Kolonien geboren. Er würde wahrscheinlich, ohne es zu wollen, auch im Kaiserpalast herausfinden, wo Wetten abgeschlossen wurden. “Spielst du mit?”
    “Noch nicht. Aber nachdem ich den Falkenlord getroffen habe, halte ich es für unwahrscheinlich, dass du entlassen wirst.”
    “Nicht, solange ich atme.” Sie legte sich scharf in die Kurve, um einem Wagen auszuweichen. “Wohin gehen wir?”
    “Vier Ecken”, antwortete er, und seine Spur eines Lächelns erstarrte. Ohne sah sein Gesicht durch die Narben gefährlich aus. Sie fragte sich, ob er schon immer so ausgesehen hatte, ob sie nur blind genug gewesen war, es nicht zu merken. Es war kein angenehmer Gedanke.
    “Du siehst furchtbar aus”, fügte er hinzu.
    “Danke.”
    Er zuckte mit den Schultern. “Wo zum Teufel bist du gestern gewesen?”
    “Ich habe schon gesagt –”
    “Es geht mich nichts an. Hab ich gehört. Aber wir sind jetzt Partner”, sagte er ruhig, “und deshalb geht es mich eben doch etwas an.”
    “Tut es nicht.”
    “Tut es, wenn du verdammt noch mal zu müde bist, um einsatzfähig zu sein.”
    Sie erreichten die Fußgängerbrücke über den Ablayne. Auf dem gegenüberliegenden Ufer unterhielten sich im Schatten der Brücke ein paar Männer. Sie fragte sich, was sie dort machten und ob sie eingreifen sollte.
    Aber Tiamaris schritt ohne zu zögern über die Brücke, und das reichte ihr als Antwort. Sie wusste, warum sie gezögert hatte. Sie wollte diese Leiche nicht finden. Sie hatte sie schon früher gefunden, aber noch nie als Falke. Es gab Gründe, warum sie nie in die Kolonien zurückgekehrt war, und Freiheit war nicht der einzige. Nicht einmal der beste.
    Severn kannte die Gründe. Er war ruhig, und er war an ihrer Seite. Sie ging eine Weile in seinem Schatten und überließ ihm die Führung. Oder ließ ihn Tiamaris folgen. Schwer zu sagen, wie genau es war, keiner der Männer sah aus, als wäre er sonderlich gut darin, den Befehlen eines anderen zu folgen.
    Andererseits war Kaylin das auch nicht.
    Sie fluchte, als ihr Stiefel in etwas stecken blieb, das nur mit viel Wohlwollen als Matsch bezeichnet werden konnte. Severn lächelte verstohlen; Tiamaris, dieser Trampel, runzelte nur die Stirn. Sie betrachtete den kurzen Absatz, wischte an den Pflastersteinen den nassen Dreck ab, so gut es ging – nicht sehr gut – und ging weiter.
    Die Kolonie Nightshade nahm sie alle langsam in sich auf. Ohne darüber nachzudenken hob Kaylin eine Hand und berührte das Zeichen auf ihrer Wange. Marrin hatte es nicht einmal erwähnt, und sie hätte es fast vergessen – zum Glück zeigte der Spiegel ihr morgens nie ihr eigenes Gesicht. Oder nachmittags.
    Severn erwischte sie dabei, wie sie an dem Mal herumdrückte, und zog ihre Hand fort. “Lass das”, sagte er ruhig. “Es könnte uns noch nützlich

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