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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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die Brücke über den Ablayne. Bei Tageslicht kamen sie nur selten so weit, sie fragte sich, was ihre Befehle waren.
    Aber sie erlaubten den Falken schweigend, Nightshade zu verlassen, und Tiamaris trug die Leiche Old Nestor hinab, auf dem Weg, auf dem sie aus den Gesetzeshallen gekommen waren.
    Wie lange war das her? Stunden, schätzte sie. Aber Stunden in den Kolonien fühlten sch anders an als Stunden außerhalb. Sie zeichneten sie, umschatteten sie, verfolgten sie. Sie hasste die Kolonien. Aber als sie sie verließ, blickte sie zurück. Ihre Geschichte lag in ihnen.
    Und hier, in den Armen eines Drachen.
    Clint hatte immer noch Dienst, und mit ihm Tanner. Das Lächeln, das normalerweise auf Clints Gesicht trat, wenn er Kaylin erblickte, verschwand, als sein Blick auf den Drachen fiel. Kaylin konnte Tiamaris’ Augen nicht sehen, aber sie konnte ihre Farbe in dem plötzlichen Wandel in Clints Gebaren lesen.
    Tiamaris trat ungehindert ein, gefolgt von einem grimmigen und stummen Severn. Erst als die zwei vorbeigegangen waren, senkte Clint seinen Speer ein Stück, mehr um Kaylins Aufmerksamkeit zu erregen, als ihr den Weg zu versperren, auch wenn es den Vorteil hatte, beides zu tun. Sie bewegte sich nicht schnell.
    “Kaylin?”
    Sie erwiderte seinen Blick stumm.
    Er schüttelte den Kopf. “Denk daran, was Marcus dir gesagt hat”, sagte er, streckte seine Hand aus und strich ihr die Haare von den Wangen. Seine Finger waren schwielig und rau, aber seine Berührung war sanft, ein Widerspruch, der ihr immer gefallen hatte.
    “Was war das noch?”, fragte sie, einen Moment auf der Stufe unter ihm innehaltend.
    “Du kannst nicht jeden retten.”
    Sie verzog das Gesicht. “Wir müssen es versuchen”, sagte sie.
    “Versuchen ist gut. Versagen ist unvermeidbar. Lass dich davon nicht auffressen.”
    “Nicht ich werde gefressen”, sagte sie verbittert.
    “Doch, wirst du.” Er senkte seinen Speerarm. “Du bist nur nicht allein.” Er berührte ihre Schulter mit seiner freien Hand. “Wir kriegen diesen kranken Bastard.”
    “Das bringt den Jungen auch nicht zurück.”
    “Nein. Aber es werden keine anderen Jungen wie er hier ankommen. Daran musst du denken. Vergiss das nie.”
    “Clint –”
    “Ich glaube, der Falkenlord wartet. Ich weiß, dass Eisenbeißer es tut.” Er trat zur Seite.
    Sie ging an ihm vorbei, drehte sich dann noch einmal um und berührte seine Federn. Er zuckte unter ihren Handflächen zusammen, aber nur dieses eine Mal ließ er sie. Sie wollte fliegen. Und auf eine Art tat sie das, sie drehte sich um und rannte durch die Aerianerhalle auf den Turm des Falkenlords zu.

8. KAPITEL
    S tatt zur Treppe, die in den Turm des Falkenlords führte, bog Kaylin links ab, als sie das Büro im Zentrum vom Falkennest, wie die Abteilung der Falken in den Gesetzeshallen von allen genannt wurde, die selber keine Falken waren, erreicht hatte. Sie hoffte, Marcus, Teela, Tain – einfach jeden, der nicht Teil ihrer Mission war – zu vermeiden.
    Sie war halb erfolgreich. Das Büro war immer noch voll, aber auf die Art, wie Büros voll sind, wenn die Arbeiter ihren Verstand bereits nach Hause geschickt haben und dabei sind, ihre Sachen zu packen, um ihnen zu folgen: laut, chaotisch und nicht gerade produktiv. An einem normalen Tag gefiel ihr das fast, weil es die beste Tageszeit für den Feierabendklatsch war, und Klatsch hatte sein eigenes Leben. Sie konnte herausfinden, wer sich verlobt hatte, wer nicht mehr verlobt war, wer zu- oder abgenommen hatte; sie konnte herausfinden, wer es mit dem Magen hatte, wer nur so tat, als sei er krank, und wer die Gicht bekommen hatte. Indem sie sich bei diesen belebten Schreibtischen herumtrieb, wusste sie, welche Falken an welchen Fällen arbeiteten, wer Eintrittskarten zu einem der vielen Bälle, Tänze, Konzerte oder Theaterstücke ergattert hatte, die der Fluch jedes Leontiners waren, wer schwanger war, wer es versuchte, oder wer gerade ein Kind bekommen hatte.
    Aber zu Zeiten wie diesen schien es geradezu obszön, dass das Leben auch normal sein konnte. Sie wusste, dass es nicht fair war, und sie wusste, dass sie anders denken würde, wenn sie es geschafft hatte, sich zusammenzureißen – aber sie wusste auch, dass sie selbst zu ihren besten Zeiten ein Jammerlappen war. Und schlimmstenfalls?
    Eine verwöhnte Göre.
    Außerdem war es schon Jahre her, seit sie sich das letzte Mal so verhalten hatte. Jetzt war nicht die richtige Zeit, eine zweite Kindheit einzuläuten.

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