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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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kannst du Barker nicht ausstehen, und so musst du nicht mit ihm reden. Zweitens kommst du so vielleicht um Wachdienst während der Feiertage herum. Drittens, Lord Evarrim gehört der höchsten Kaste an, und auch wenn er nicht über dem Gesetz steht, so sind ihm seine feineren Auslegungen doch ziemlich egal.” Sie war einen Augenblick lang still, fast, als würde sie nachdenken. “Du weißt, dass die Gesetze, denen die verschiedenen Rassen unterstehen, manchmal auf einem etwas … ungewöhnlichen Kontext basieren.”
    “Ich bin kein Anwalt.”
    Teela lachte nicht einmal kurz.
    “Teela –”
    “Glaub mir, du willst dich mit Evarrim nicht einlassen.”
    “Er kann nicht schlimmer als Nightshade sein.”
    “Schlimmer? Nein. Besser? Kaum.”
    “Er ist kein Ausgestoßener.”
    “Kaylin, das Wort ausgestoßen bedeutet bei den Menschen so etwas wie ‘ins Gefängnis gehen, weil man erwischt wurde’. Bei den Barrani heißt es etwas anderes. Bei den Drachen auch. Nein, gib dir keine Mühe. Ich erkläre dir den Unterschied nicht. Ich habe meine Zunge ganz gern in meinem Mund. Oder in –”
    “Erspar mir das.”
    Teela lächelte, aber es erreichte ihre Augen nicht. “Du solltest etwas schlafen.”
    Kaylin versuchte es.
    Ihr Magen begann in der ersten Stunde einen langen Monolog zu halten, und sie aß etwas altes Brot und trockenen Käse, nur, damit er still war. Aber während sie unter dem Sims des offenen Fensters lag, blickte sie hinauf in den dunkler werdenden Nachthimmel und zählte die Sterne. Die Schiene an ihrem Arm war schwer und kühl, fast ein Trost. Sie beschützte sie, jedenfalls sagte das der Falkenlord. Dennoch …
    Severn hatte sie bei sich gefunden.
    Tiamaris hatte von Schutz gesprochen.
    Und Kaylin hatte
nichts
gesagt. Sie hatte die Toten betrogen. Die Toten, die sie nicht begraben hatte. Die Toten, die sie nicht gerettet hatte. Sie drehte sich um und griff nach dem Kissen, das sie durch jahrelangen Gebrauch platt gelegen hatte. Es war zu spät für die Wäsche, zu spät zum Einkaufen.
    Einfach zu spät, verdammt.
    Geh weg, Severn. Geh zurück zu den Wölfen. Geh zurück zum Wolflord. Halt dich raus aus
meinem
Leben.
    Sie sprach die Worte immer und immer wieder, stumm, wie ein Gebet.
    Am nächsten Morgen war sie pünktlich, aber weil Teela sie begleitete, kicherte Clint nur, als er sie sah.
    “Du siehst furchtbar aus”, sagte er fröhlich.
    “Danke.”
    “Es sind die dunklen Augenringe. Und dass deine Augen kaum offen sind. Teela, du solltest etwas Mitleid zeigen.”
    “Hab ich doch. Ich habe sie keinen Spiegel sehen lassen, ehe wir das Haus verlassen haben.”
    “Du hast sie sich kaum anziehen lassen, wie es aussieht. Kaylin, du weißt, dass du deine Tunika falsch herum anhast, ja?”
    Kaylin hasste Morgenmenschen, besonders
am
Morgen. Sie sagte etwas Unhöfliches, und Tanner lachte. “Lass es raus”, sagte er, als sie sich an ihm vorbeischob. “Eisenbeißer mag Flüche nur, wenn sie von ihm selbst kommen.”
    Marcus wurde allerdings von Caitlin dazu getrieben, seinen monatlichen Bericht für die Lords der Gesetze endlich zu Ende zu bringen, also kamen die meisten Flüche an diesem Morgen von ihm. Man konnte einen verärgerten Leontiner im Fluchen nicht übertreffen – vor allem, weil die Lautstärke es schwierig machte, seine Würde zu behalten.
    Kaylin glitt über den Fußboden zu dem Schreibtisch, der, theoretisch, ihrer war. Er wurde nicht von vier Wänden und einer Tür abgetrennt, sondern lag am Rand der Papiertiger, was zu ihrem Status als Junior passte. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, aber Marcus’ Laune hielt sie auch davon ab, zu fragen.
    Und Marcus brachte ihr nicht von selbst eine Antwort.
    Der ganze Tag drehte sich um das plötzliche Aufflackern des Spiegels. Sie sah auf, als er losging – aber das taten alle im Büro.
    “Caitlin, wer ist es?”
    Caitlin runzelte die Stirn. Der Spiegel war an der Wand neben ihrem Schreibtisch, weil sie theoretisch darüber zu wachen hatte. Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie sich im Büro umsah. “Es ist … Marrin.”
    Kaylin seufzte und stand auf. “Worum geht es diesmal?”, fragte sie und spielte mit den Fingern an den Edelsteinen ihrer Armschiene ohne darüber nachzudenken.
    Marrin flackerte auf der Oberfläche auf.
    Ihr Fell war aufgestellt, ihre Augen weit aufgerissen und wild, und ihre Krallen waren
ganz
ausgefahren. Sie sagte etwas auf Leontinisch und sprach so schnell, dass Kaylin die Hälfte nicht mitbekam.

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