Kein Alibi: Roman (German Edition)
alle möglichen Szenarien durchgespielt hatte, konnte er keine Unstimmigkeit entdecken. Alles passte zusammen.
Diese Schlussfolgerung machte ihn nicht glücklich, aber momentan konnte er sich diesbezüglich keine weiteren Grübeleien mehr erlauben. Er musste handeln.
Er rappelte sich vom Stuhl hoch und packte das Telefon. Nachdem er sich von der Auskunft die Nummer hatte bestätigen lassen, drückte er die Zahlen.
»Charles Towne Plaza. Wohin kann ich Sie weiterverbinden?«
»Zum Spa, bitte.«
»Tut mir Leid, Sir, aber das Spa ist für heute Abend schon geschlossen. Falls Sie einen Termin vereinbaren möchten –«
Er unterbrach die Telefonistin, stellte sich vor und erklärte ihr, wen er unbedingt sprechen müsse. »Und ich muss sofort mit ihm reden. Während Sie ihn aufspüren, stellen Sie mich zur Hausdame durch.«
Es dauerte nicht lange, bis Loretta zu der Einsicht gelangte, dass es keine gute Idee gewesen war, auf diesen Jahrmarkt zu fahren.
Bereits fünfzehn Minuten nachdem sie ihren Wagen auf einer staubigen Weide geparkt hatte und nun den restlichen Weg zu Fuß zurücklegte, schwitzte sie am ganzen Körper. Überall waren Kinder – lärmende Krachmacher mit klebrigen Fingern, die es darauf angelegt hatten, besonders ihr auf die Nerven zu gehen. Die Schausteller waren mürrisch. Nicht dass sie ihnen ihre schlechte Laune vorwarf. Wer konnte bei dieser Hitze schon arbeiten?
Sie hätte ihre Seele verkauft, um in einer angenehm dunklen, kühlen Bar sitzen zu können. Der Mief aus abgestandenem Tabakqualm und Bier wäre eine willkommene Abwechslung zu der Duftwolke aus Zuckerwatte und Kuhdung gewesen, die über dem Rummelplatz hing.
Das Einzige, was sie noch hier hielt, war die ständige Mahnung, sie könnte Hammond damit etwas Gutes tun. Das war sie ihm schuldig, nicht nur als Wiedergutmachung für den Fall, den sie vermasselt hatte, sondern auch, weil er ihr eine zweite Chance gegeben hatte, als sie niemandem sonst auch nur einen Pfifferling wert gewesen war.
Vielleicht würde diese nüchterne Periode nicht anhalten, aber momentan war sie trocken, hatte Arbeit, und in den Augen ihrer Tochter lag etwas anderes als bloße Verachtung für sie. Diese Segnungen hatte sie Hammond zu verdanken.
Beharrlich trabte sie von einer Attraktion zur nächsten. »Ich dachte, Sie könnten sich vielleicht erinnern –«
»Lady, biste gaga? Hier sin’n paar tausend Leutchens durchjelatscht. Wie soll ma sich ’n da an eene Tussi erinnern?« Der Schausteller spuckte einen zähen Batzen Tabaksaft knapp an ihrer Schulter vorbei.
»Danke für deine Mühe. Du kannst mich mal.«
»Ja, ja, jetzt beweg mal deinen Hintern. Du hältst die janze Reihe auf.«
Jedes Mal, wenn sie Ausstellern, Fahrpersonal und Essenverkäufern Alex Ladds Foto zeigte, bekam sie eine mehr oder weniger ähnliche Antwort. Entweder reagierten sie von vornherein so rüde wie der Letzte, oder sie waren viel zu müde, um sich noch voll auf sie konzentrieren zu können. Ein Kopfschütteln und ein knappes »Tut mir Leid« war die übliche Antwort auf ihre Nachfrage.
Noch lange nach Sonnenuntergang, als schon die Schnaken schwadronweise anrückten, lief sie fragend herum. Nach mehreren Stunden hatte sie zu ihrem Kummer lediglich ein Paar Beine vorzuweisen, die in der Hitze zu Sofakissenformat aufgequollen waren. Bei einem kritischen Blick auf das geschwollene aufgeblähte Fleisch, das sich durch die Riemen ihrer Sandalen drückte, kam ihr der Gedanke, wie schade es sei, dass dieser Jahrmarkt keine Monstrositätenschau anbot. »Diese Schätzchen hätten mich dafür qualifiziert«, stieß sie hervor.
Schließlich gestand sie sich mehrere Dinge ein: Dieses Unternehmen war totaler Blödsinn. Wahrscheinlich hatte Dr. Ladd mit ihrer Aussage gelogen. Und drittens tendierte die Wahrscheinlichkeit, zufällig auf jemanden zu stoßen, der auch letzten Samstag hier gewesen war und sich obendrein noch erinnerte, sie gesehen zu haben, gegen null.
Sie zerquetschte eine Schnake auf ihrem Arm. Das Insekt zerplatzte wie ein Ballon und hinterließ einen Blutklecks. »Jetzt bin ich mindestens ’nen Viertelliter leichter.« Damit beschloss sie, es gut sein zu lassen und nach Charleston zurückzufahren. Während sie am Tanzpavillon mit seinen Weihnachtsketten unter dem Kegeldach vorbeiging, träumte sie genüsslich von einem eiskalten Fußbad. Eine vergammelte Band stimmte gerade die Instrumente.
Der Fiedler hatte einen geflochtenen Bart, damit er noch lauter
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