Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman
»Christy Davies. Ist Mr Simpson Ihr Onkel?«
Das Mädchen nickte und schaffte es, gleichzeitig gelangweilt und herausfordernd dreinzublicken.
»Er hat mir gesagt …«
»Ich weiß, was er Ihnen gesagt hat«, fiel ihr das Mädchen ins Wort. »Er wollte Ihnen einen Riesengefallen tun. Ist Ihnen das eigentlich klar?«
»Ja. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar.«
»Und warum waren Sie dann nicht um Punkt neun Uhr hier?«
»Wie bitte?« Christy sah das Mädchen verständnislos an.
Die legte den Kopf auf die Seite. »Das würde ein normaler Mensch doch tun oder nicht? Wenn Onkel Dan Ihnen einen so großen Gefallen tun will, dann hätten Sie doch wohl heute Morgen als Erstes hierherkommen müssen? So etwas ist ihm wichtig.«
»Mir doch auch! Und wie!«
»Nicht wichtig genug, um pünktlich zu sein.«
»Aber … aber ich musste arbeiten«, stammelte Christy.
»Onkel Dan hat sich wohl gedacht, dass Sie andere Prioritäten haben. So ist er eben.«
»Ist das nicht ein bisschen … sehr streng?«, stotterte Christy.
»Passen Sie auf, was Sie über meine Familie sagen!«, warnte das Mädchen.
»Ach, jetzt kommen Sie! Ich werfe Ihrem Onkel nicht vor, dass er zu hohe Ansprüche hat, ich dachte nur, wir hätten eine Vereinbarung. Und es gab an diesem Morgen ein paar Dinge, die ich dringendst erledigen musste.«
»Nun, Honey, und er hat eben heute Nachmittag ein paar Dinge zu erledigen. Deshalb ist er gegangen.«
Christy wandte sich ab, Tränen brannten ihr in den Augen. Wie hatte das nur passieren können? Hatte dieses Mädchen vielleicht Recht - hatte sie es sich selbst vermasselt? Hätte sie diesen Termin vorrangig behandeln und ihre Interessen über die der anderen stellen sollen? Aber allein die Vorstellung! Annie im Stich lassen? Den ganzen Tag hinter Terminen herhinken? Das wäre undenkbar gewesen. Oder etwa nicht?
Zum Millionsten Mal verfluchte sie, dass sie ihr iPhone verloren hatte. Dann hätte sie sich in ein stilles Eckchen zurückziehen und Mr Simpson anrufen können. Sie hätte ihren geballten Charme eingesetzt und ihn mit Bitten und Flehen überschüttet, bis ihm gar keine andere Wahl geblieben wäre, als einzulenken und ihr das Apartment doch noch zu überlassen. Das war das mindeste, was er tun konnte, sie hatten schließlich eine Vereinbarung! Gab es denn auf diesem Planeten keinen einzigen Mann, dem sie vertrauen konnte?
Stattdessen musste sie sich der Gnade dieser jungen Frau ausliefern, die allerdings keine zu kennen schien. »Bitte, bitte, würden Sie mir seine Nummer geben, damit ich ihn anrufen kann?«
»Sie haben nicht mal seine Nummer?« Das Mädchen starrte sie ungläubig an.
»Ich hatte seine Nummer. Aber ich habe mein Handy verloren …«
Das Mädchen hörte gar nicht zu. Es wusste, dass es im Vorteil war und kostete jede Sekunde aus. »Onkel Dan hat wegen einer Familienangelegenheit die Stadt verlassen«, erklärte sie mit fester Stimme. »Eine wichtige Familienangelegenheit. Er hat sein Firmenhandy ausgeschaltet. Das tut er immer, wenn es um die Familie geht.«
Toni hatte die ganze Zeit ein Stück weiter weg am Eingang zum Hof gestanden und die Szene beobachtet. Langsam kam er jetzt auf das Mädchen zu. Die Veränderung, die mit ihr vorging, als ihr Blick auf ihn fiel, wäre zum Lachen gewesen, wenn Christy dazu in der Stimmung gewesen wäre. Das war sie aber nicht. Die Züge des Mädchens wurden weicher. Die reservierte Selbstgefälligkeit schmolz dahin und wich einem gezierten, mädchenhaften Gehabe. Langsam fuhr sie mit den Händen über ihren Rock und strich ihn glatt. Die rechte Hüfte ging nach unten und die linke Ferse wurde leicht angehoben, bis sie eine kokette Haltung eingenommen hatte, die ihre kurvenreiche Figur betonte. Auf die sie offensichtlich sehr stolz war.
»Ich Toni«, sagte er und legte beide Hände an seine Brust. Dann breitete er seine Arme fragend in ihre Richtung
aus, flehte sie wortlos an, ihm ihren Namen zu sagen, als hinge sein Leben davon ab.
»Oh … ähm … Brigitte.« Sie lächelte geziert. »Hallo, Toni, nett dich kennenzulernen. Ähm, hübsches Hemd.«
Zärtlich strich Toni Brigitte eine Strähne ihres blondierten Haars hinters Ohr. »Brigitte Bardot!« Er beugte sich näher zu ihr, ging leicht in die Knie, schloss die Augen und schnupperte an ihrem Scheitel. »Es zu riechen heißt, es zu lieben, Brigitte Bardot!«
Christy sah Toni stirnrunzelnd an, dann wandte sie sich ab, damit er nicht sah, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Rasch
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