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Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman

Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman

Titel: Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Hepburn
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näher zu ihm beugen musste, um ihn zu verstehen.
    »Dad?«
    »Ja?«
    »Weißt du was? Zum Teufel mit der Vergangenheit!« Sein Vater starrte nach vorn auf die Straße und seine Miene verriet nicht, was er dachte. Aber nachdem scheinbar Stunden vergangen waren, neigte er den Kopf ein wenig und antwortete: »Gott sei’s gedankt!«
    Will fühlte sich plötzlich leichter und glücklicher als seit langem. Nie zuvor hatte er sich seinem Vater so verbunden gefühlt wie in den letzten Minuten. Es war ein gutes Gefühl.
    Die Atmosphäre im Wagen war immer noch mit vielen unausgesprochenen Dingen aufgeladen, zumindest hatten sie jedoch einander die Hand gereicht. In Anbetracht des Fehlens nennenswerter Kommunikation zwischen ihnen während der letzten zehn Jahre war das eindeutig ein Fortschritt.
    Als Will weiterredete, konnte er seinem Vater nicht in die Augen sehen. »Tut mit leid, dass ich dich heute Morgen im Haus angeschrien habe, Dad.«
    Carl lächelte schwach. »Ich hatte es verdient.«

    »Du trauerst, und ich hätte dafür mehr Verständnis haben müssen.«
    »Nein, ich …« Sein Vater schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, als wolle er weitersprechen, entschied sich dann aber offenbar anders.
    »Sag es, Dad«, drängte ihn Will.
    »Ich habe Fehler gemacht«, antwortete Carl. »Du hattest es als Kind nicht leicht. Ich war nicht wirklich für dich da. Du hattest schon Recht, ich habe mir damals über meine Verpflichtungen nicht viel Gedanken gemacht. Es muss schwer für dich gewesen sein.«
    Wills Herz setzte beinahe aus, als ihm klarwurde, wie viele Jahre er sich danach gesehnt hatte, von seinem Vater diese Worte zu hören. Doch dann fiel ihm Christys Rat ein, und er tat das Mutigste, was er je in seinem ganzen Leben gemacht hatte. Er streckte die Hand aus, berührte seinen Vater am Arm und sagte: »Hatte ich nicht gesagt, dass wir die Vergangenheit zum Teufel schicken sollen, Dad?«
    Sein Vater schüttelte den Kopf. »Das ist leichter gesagt als getan.«
    Es hatte zu regnen begonnen, und ein feiner Nieselregen fiel auf die Autos und die Straße. Etliche Fahrer schalteten das Licht ein, und die Scheibenwischer von Carl Thompsons Auto produzierten auf der Windschutzscheibe ein störendes Quietschen.
    »Ich habe nie viel darüber nachgedacht, was für eine harte Zeit du durchgemacht hast, nachdem Mom … gestorben war«, gestand Will. »Kein Wunder, dass wir viel gestritten haben.«

    »Dafür warst du nicht zuständig«, entgegnete sein Vater. »Du warst das Kind und ich der Erwachsene. Zumindest hätte ich das sein sollen. Aber dann … Weißt du … plötzlich warst du kein Kind mehr. Du wurdest erwachsen, ohne dass ich es überhaupt mitbekam. Dadurch, ich weiß nicht, habe ich mich gefühlt, als würde ich dich gar nicht kennen.«
    Diese Bemerkung versetzte Will einen Stich. Wie konnte ein Vater so etwas sagen?
    »Aber dann begann ich zu verstehen und merkte, dass ich dich sehr wohl kenne. In meinem Leben gab es nämlich jemanden, der genauso war wie du.«
    »Grandpa«, sagte Will. Es war eine Feststellung und keine Frage.
    »Genau.« Sein Vater nickte.
    »Ich schäme mich nicht dafür, dass ich so bin wie er«, sagte Will und war entschlossen, ehrlich gegenüber sich selbst zu sein.
    »Das solltest du auch nicht«, unterbrach ihn sein Vater sofort. »Du bist ein kluger Kopf, Will, so wie er es war.
    Es war nur leider so, als wäre eine Generation übersprungen worden.«
    »Du?«
    »Ich.«
    »Ich hätte nie gedacht …«
    »Das brauchtest du auch nicht! Aber da stand ich nun, zwischen zwei geschäftstüchtigen Erfolgsmenschen, und habe mich an meine künstlerischen Überzeugungen und Werte geklammert wie ein einsamer, naiver Dichter in einem Land vollgestopft mit Technik!«

    »So hast du dich gefühlt?« Will starrte seinen Vater an.
    »Na ja, nicht in jeder Minute, das würde einen Mann dazu treiben, mit dem Trinken anzufangen. Aber im Grunde schon, Will. Ich fühlte mich …«
    Will überlegte, ob er es wagen sollte, das Wort auszusprechen.
    »Missverstanden?«
    Sein Vater nickte. »Genau das. Mit euch beiden um mich herum war es schwer für mich, an meinen Werten festzuhalten.«
    »Dafür hast du es ziemlich gut hinbekommen!« Will lachte. Er erinnerte sich an die Streitereien, das Herumschreien und die vielen Stunden der Stille, wenn sich sein Vater in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen hatte und »kreativ« war.
    »Du weißt, was ich meine? Na ja, ganz so heftig hätte ich sie nicht verteidigen

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