Kein Blick zurueck
war. John hatte einfach strahlend dagestanden und zugelassen, dass sie ihn umarmte.
»Hast du Angst vor Spinnen?«, waren die ersten Worte aus seinem Mund gewesen. Er ging hinein und kam mit einem Einmachglas zurück, das ein braun gestreiftes Etwas beherbergte. »Habe ich in der Hütte gefunden«, sagte er sichtlich zufrieden mit sich.
Martha hatte neben Edwin gestanden, als Mamah gekommen war, mit ihrem Vater verbunden durch ein Stück Hosenstoff, das sie mit Daumen und Zeigefinger festhielt. Auf dem Kopf trug sie eine dicke Schleife. Ihr Gesicht war ganz neu. Der Babyspeck auf ihren Wangen war so gut wie verschwunden. Bei Martha kam jetzt das Gesicht zum Vorschein, das sie von nun an haben würde, und es war ein Borthwick’sches Gesicht. Mit hohen Wangenknochen, einem eckigen Kinn und einem dunklen Brauenstrich, genau wie derMamahs. In diesem Augenblick vor der Hütte waren diese Augenbrauen zu einer einzigen schwarzen, tief hängenden Wolke zusammengezogen. Martha hatte sich hinter Edwin verschanzt, als ihre Mutter näher kam, und weigerte sich, wieder hervorzukommen. Edwin stand steif und regungslos da, als Mamah ein paar Schritte zurücktrat.
Als die Kinder an diesem Abend im Bett lagen, saßen Mamah und Edwin auf Schaukelstühlen auf der Vorderveranda und unterhielten sich im Flüsterton.
»Sie werden bei mir leben«, sagte er.
»Ich will sie sehen.«
»Du kannst sie in angemessenen Abständen sehen.«
»Wie häufig ist das?« Sie sah ihn misstrauisch an.
»Ich habe nichts dagegen, wenn sie dich im Sommer zwei Wochen besuchen.«
»Warum nicht zwei Monate?«
»Vielleicht vier Wochen«, sagte er. »Wir werden sehen, wie es sich entwickelt. Ich weiß nicht, was die Kinder wollen. Sie fürchten sich beide vor so vielen Dingen.«
Laubheuschrecken kreischten und quietschten ihre Flaschenzug-Laute in den Wald hinein.
»Ich hatte nie die Absicht, so viel Leid zu verursachen«, sagte sie.
Es kam als eine jämmerliche Untertreibung heraus. Dennoch schienen ihre Worte zu Edwin durchzudringen, der seit ihrer Ankunft übertrieben förmlich gewesen war.
»Martha hat damals nichts von alledem verstanden. Es war John, der das meiste abbekam. Es gab Zeiten…« Edwin hielt inne.
Mamah holte tief Luft. »Sprich weiter.«
»In Boulder hat er sich verirrt, nachdem du weggegangen warst. Mattie war damals schon krank. Menschen gingen in dem Haus ein und aus – Ärzte, Nachbarn –, und niemandemfiel auf, dass er weg war. Ich wurde erst Ende der Woche erwartet, um sie abzuholen. Als die Kinderfrau feststellte, dass er verschwunden war, war sie völlig außer sich.« Mamah hatte das Gefühl, jemand habe ihr einen Stoß vor die Brust versetzt.
»Wie sich herausstellte, war er nicht davongelaufen. Sie fanden ihn am selben Abend, als er meilenweit vom Haus entfernt durch Boulder wanderte. Er suchte nach dir.«
Sie presste die Lippen zusammen und legte die Hand auf den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihr aufsteigen wollte. Sie hatte kein Recht zu weinen.
Nachdem Edwin zum Haupthaus aufgebrochen war, lag sie bis nach Mitternacht wach und horchte auf den Atem der Kinder auf der anderen Seite des Zimmers. John lag im oberen Bett, Martha unten.
Vier Wochen lang konnte Mamah sie haben. Dem hatte Edwin schließlich zugestimmt. Vier Wochen, nicht mehr, bis ihr an Weihnachten erlaubt wäre, sie vor den Feiertagen zwei Tage in Oak Park zu besuchen. Danach konnte sie sie jeden Sommer ein paar Wochen zu sich nach Wisconsin holen und sie außerdem in Oak Park besuchen, wenn sie das wollte.
Jetzt würden sie einen Monat miteinander haben. Wie sollte irgendjemand es schaffen, in einem Monat wieder gutzumachen, was geschehen war?
»Neeeeiiin!«, heulte Martha, als Edwin am Morgen abreiste. Sie musste von seinem Bein gelöst werden, als er in das wartende Auto stieg. Der Mann am Empfang des Ferienlagers kam heraus, um nachzusehen, was los war. »Kräftige Stimmbänder«, sagte er.
Vögel beobachten. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Welches Kind hat sich je dafür interessiert, Vögel zu beobachten? Mamah stand auf der ausgedörrten Lichtung, auf der der Geruchnach Harz in der Luft hing. Martha hockte wie ein verdrossenes Häufchen Elend zu ihren Füßen.
»Was jetzt?«, fragte John.
Mamah hatte keinen anderen Plan. Sie blickte auf die Uhr. Zehn. John ging zu der nächststehenden Kiefer und schlug mit seinem Stock gegen den Stamm.
»Kommt, wir gehen zurück ins Ferienlager«, sagte sie. »Vielleicht treiben
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