Kein Blick zurueck
wir ein Kanu für euch auf.«
Sie hatte nicht vorgehabt, sie in die ganztägigen Gruppen zu schicken, die die anderen Kinder im Ferienlager besuchten. Selbstsüchtig hatte sie darauf gehofft, sie für sich zu haben. Sie wünschte sich sehnlichst, ihre Haut an ihrer zu spüren – das war es, was sie am meisten vermisst hatte. In Europa hatte sie von dem Gefühl geträumt, das der Druck von Marthas fetten, kleinen Beinchen in ihr ausgelöst hatte, wenn sie sie auf dem Arm hielt. Doch das würde nicht passieren. Noch nicht. Möglicherweise nicht für lange Zeit.
John wollte ihr jedoch gefallen. Er umarmte sie nicht von sich aus, kam jedoch in ihre Nähe, damit sie ihn in die Arme nehmen konnte. Dann zog sie ihn an sich und spürte seine Rippen und seinen knochigen, kleinen Hintern, der gegen ihren Schoß drückte. In solchen Momenten, wenn er bei ihr verweilte, versuchte sie, mit ihm zu reden.
»Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich nach Hause gekommen bin«, sagte sie. Er sprang auf, ehe sie ein weiteres Wort sagen konnte, und rannte auf die andere Seite der Lichtung, um sich dort anderen Kindern anzuschließen. An manchen Tagen beobachtete sie sie vom Seeufer aus. Andere Eltern unternahmen ihrerseits Ausflüge, während ihre Kinder mit den jungen Freizeitleitern schwimmen gingen. Mamah kam sich wie eine Spionin vor, wenn sie versuchte, sie beim Spielen zu beobachten, ohne dass sie siebemerkten. John schien sich in seiner Haut wohlzufühlen, dachte sie, während er schwatzend in einem Gummiring dahintrieb oder sich mit anderen Kindern Wasserschlachten lieferte, sobald er mit ihnen zusammenstieß. Doch Martha wirkte so verloren auf ihrem schwarzen Gummifloß, und ihr Gesichtsausdruck, wenn sie unter anderen Kindern war, war derselbe, wie wenn sie mit ihrer Mutter zusammen war.
Mamah hockte am Ufer und dachte an die Bemerkung, die eine ›Bekannte‹ von ihr in einem der Artikel in der Tribune gemacht hatte, dass sie wenig Zeit mit ihren Kindern verbracht habe. Diese Bemerkung hatte sie mehr verletzt als alles andere, denn sie traf nicht zu. Sie hatte ihre Kinder leidenschaftlich geliebt und viel Zeit mit ihnen verbracht, mehr als viele andere Mütter, deren Kinder ausschließlich von Kindermädchen aufgezogen wurden. Doch der Bemerkung lag eine tiefere Wahrheit zugrunde, die sie nicht hatte erkennen wollen und der sie jetzt nicht mehr ausweichen konnte. Eine Liebesaffäre aufrechtzuhalten war Arbeit gewesen. Es hatte sie Energie gekostet und all die Jahre in Oak Park ihre Gedanken beherrscht. Selbst in Gegenwart der Kinder waren ihre Gedanken auf Frank ausgerichtet gewesen – wie sie es einrichten könnten, sich das nächste Mal zu treffen, oder was er bei ihrem letzten Treffen mit einer bestimmten Bemerkung gemeint hatte. Sie war so lange von dieser Affäre besessen gewesen, dass sie es für normal gehalten hatte. Die Kinder waren beiseitegeschoben worden, vielleicht nicht körperlich, doch mit Sicherheit in ihren Gedanken. Es war nicht immer so gewesen. Sie und John hatten einander nahegestanden, ehe die Affäre mit Frank begonnen hatte. Nicht John war es, der in den Jahren dieser Affäre am meisten vernachlässigt worden war, dachte sie. Nein, es war Martha. Mamah stellte fest, dass sie sich schon bei MarthasGeburt innerlich weit von ihnen entfernt hatte. Zuerst durch die Depression, dann durch Frank. Martha war ein Jahr alt gewesen, als die Affäre begonnen hatte.
Die Realität ihrer Abwesenheit traf Mamah wie ein Schlag. Gewöhnlich konzentrierten sich ihre Schuldgefühle auf einund dasselbe starre Bild – den Moment, als sie in Boulder aus dem Zimmer gegangen war, in dem John und Martha lagen und schliefen. Wann immer sie daran dachte, stellte sie sich voller Entsetzen dieselbe Frage: Habe ich mich überhaupt nach ihnen umgesehen?
Inzwischen erkannte sie, dass sie sich schon lange vor jenem Morgen von ihnen entfernt hatte. Die längste Zeit in jenen frühen Jahren waren ihre Augen und Ohren und ihre ganze Freude – die so rechtmäßig ihnen gehört hätte – auf jemand anderen gerichtet gewesen.
Mamah saß da und streifte die Nadeln von einem Kiefernzweig. Auch wenn sie nicht wusste wie, sie würde es wieder gutmachen. Entschuldigungen würden John und Martha nicht das Geringste bedeuten. Es würde Zeit brauchen, vielleicht Jahre, um das Verhältnis zu ihnen wieder zu kitten. Sie erinnerte sich an die schrecklichen Tage, nachdem sie Edwin erzählt hatte, dass sie Frank liebte. »Alle
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