Kein Blick zurueck
bereits ein Hochgefühl, weil sie nicht angefressen waren.
Dieses Gefühl, gerade noch einmal Glück gehabt zu haben, erschütterte Mamah. Sie beschloss, umgehend mit dem Übersetzen weiterzumachen, und setzte sich, um Ellen Key den Brief zu schreiben, den sie in ihrem Kopf bereits formuliert hatte. Sie versprach, dem Magazin The American ein paar Essays zu schicken, wo sie einem größeren Publikum zugänglich wären, und legte Hübschs seltsamen Brief bei. Zum Schluss versicherte Mamah Ellen, dass sie an die Arbeit zurückgekehrt war.
Sie war gerade im Begriff, den Brief zusammenzufalten, als einer der Arbeiter am Ende des Flurs anklopfte, um auf sich aufmerksam zu machen. »Mrs. Borthwick?«, rief jemand. Die Männer hatten angefangen, sie auf ihre Bitte hin mit diesem Namen anzusprechen, doch er klang ihr immer noch fremd in den Ohren.
»Heute ist Josiah wiedergekommen.« Es war Billys Stimme. »Möchten Sie mit ihm reden, oder soll ich es tun?«
»Ich rede mit ihm«, sagte Mamah. »Sagen Sie ihm, er soll zu mir ins Wohnzimmer kommen.«
Josiah war ein junger Zimmermannslehrling, der in der kurzen Zeit, die er bei ihnen angestellt war, sowohl ein beträchtliches Talent als auch eine beträchtliche Schwäche für Alkohol an den Tag gelegt hatte. Im August und September war er den einen oder anderen Montag nicht erschienen. Doch inzwischen, Ende Oktober, versäumte er zwei von fünf Werktagen, gestern war der letzte gewesen.
Josiah war klein und drahtig, ein gut aussehender Junge mit weißblondem Haar und schüchternem Gebaren. Er hielt den Hut in den Händen und sah mit gesenktem Kopf und einem reuevollen Blick unter buschigen, blonden Brauen zu ihr auf.»Wir haben Sie gestern bitter vermisst, Josiah.«
»Es tut mir leid, Ma’am«, sagte er. »Ich war furchtbar krank. Muss was Schlechtes gegessen haben.«
Mamah betrachtete prüfend das rote Gesicht des jungen Mannes. Die Haut unter einem Auge war geschwollen und gelblich-grün – Hinweis auf eine weitere Kneipenschlägerei. Sie hasste den Gedanken, dass Frank ihn eventuell würde hinauswerfen müssen.
»Nun, Josiah, die Wahrheit ist, dass wir Sie hier dringend benötigen. Sie sind einer der besten Zimmermannslehrlinge, mit denen Mr. Wright je zusammmenzuarbeiten das Vergnügen hatte.«
Der junge Mann ließ den Kopf hängen. »Ich werde mich bessern.«
»Das weiß ich. Dessen bin ich mir sicher.«
Nach dem Gespräch fühlte Mamah sich erschöpft. Sie dachte daran, dass sie, wenn sie Ellens Glauben an sich aufrechterhalten wollte, einen Weg finden musste, sich von den alltäglichen Entscheidungen und Pflichten Taliesins abzusetzen. Die Mannschaft war weit genug geschrumpft, dass Lil die Essenszubereitung allein übernehmen konnte. Es wäre nicht verfrüht, sich jetzt ein wenig zurückzuziehen.
Taliesin war seit Mamahs Ankunft am ersten August weit gediehen. Inzwischen waren die Fenster eingesetzt – große klare Scheiben ohne Buntglaseinsätze, da keine Notwendigkeit bestand, irgendwelche Blicke abzuhalten. Die Wände waren nicht verputzt. Grob behauene Eichenbalken ragten von den Innenwänden aus gemauertem Kalkstein in den Raum.
So anders als in dem Haus an der East Avenue , dachte sie. Die Art von Haus, die Frank in Oak Park gebaut hatte, richtete sich nach innen, obwohl es als »Präriehaus« bezeichnet wurde, dem Herd und dem Familienleben zu, und wandte derStraße den Rücken, denn vor der Tür gab es keine Prärie, lediglich andere Häuser.
Taliesin jedoch öffnete seine Arme der Umgebung – Sonne und Himmel, grünen Hügeln und schwarzer Erde. Weit mehr als das Haus an der East Avenue ließ dieses Haus auf gute Zeiten hoffen. Es war wahrhaft für sie bestimmt, mit seinen Terrassen, dem Hof und dem Garten, die so stark an die italienischen Villen erinnerten, die sie so sehr geliebt hatte. Und doch war es keine italienische Villa. Es enthielt Elemente eines Präriehauses, ohne eines zu sein. Taliesin war ein Original, anders als alle anderen Häuser, in denen sie je gewesen war – ein wahrhaft organisches Haus, das aus dem Hügel erwuchs.
Am meisten verblüffte Mamah, wie geräumig das Haus im Innern war; es bildete eine eigene Dimension. Was hätte das amerikanische Ideal besser ausdrücken können als ein Haus, in dem man sich gleichermaßen frei und behütet fühlte? Sie liebte es, vor dem Kamin zu sitzen und durch das geräumige Wohnzimmer auf die dahinter liegenden Felder und den Himmel zu blicken. Es war, als gäbe es keine Mauern,
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