Kein Blick zurueck
sehen und auch, wie sie ihre Pfeifen rauchten. Sie würde das Augenzwinkern und das koboldhafte Grinsen auf ihren Gesichtern erkennen. In diesem Augenblick wusste Mamah, was sie Frank zu Weihnachten schenken würde. Das Porträt der Männer würde eines sein in einer ganzen Serie, die für ein Fotoalbum bestimmt war, das die Geschichte Taliesins erzählen würde.
Es blieb nicht viel Zeit; bald würde der erste Schnee fallen. In Gedanken machte sie sich eine Liste, was sie zeigen wollte: den Blick aus der Ferne aus allen Himmelsrichtungen; dann Nahaufnahmen von Franks Studio, dem Zimmer mit der Schlafstelle, dem Schlafzimmer und dem Wohnzimmer. Um die Weitläufigkeit des Wohnzimmers einzufangen, würde sie drei Bilder machen und sie wie einen japanischen Wandschirm zu einem Triptychon zusammensetzen. Das würde ihm gefallen. Sie würde die schlichten Eichentische und -stühle und -betten fotografieren, die Frank hatte anfertigen lassen. Und selbstverständlich die »Blume in bröckelnder Mauer«, die wie ein Schutzengel am Tor aufragte.
In der zweiten Novemberwoche rief Franks Schwester Jennie an und teilte mit, dass ein Brief von Ellen Key bei ihr abgegeben worden sei. Mamah rannte den Hügel hinauf nach Tan-Y-Derie, umarmte Jennie und ging eilig wieder zurück in ihr eigenes Haus, um den Brief zu lesen. Als sie ihn öffnete, sah sie, dass er lang und ausführlich war wie einer von Ellens Essays.
Liebe Mamah:
Ich habe seit einiger Zeit nichts von Ihnen gehört und wüsste gerne Bescheid über die Fortschritte in den Angelegenheiten, über die wir gesprochen haben, als Sie im Juni in Strand waren. In Ihremletzten Brief deuteten Sie an, dass Mr. Putnam sich nicht in seinem Büro aufhielt und Sie mit seinem Stellvertreter sprechen mussten, als Sie in New York waren. Sie sagten, es bestehe kein großes Interesse an der von uns besprochenen Auswahl. Könnten wir ein paar andere Essays zusammenstellen und sie Putnam unter anderem Titel anbieten? Ich könnte mir eine solcherart veränderte Auswahl vorstellen. Haben Sie meine Freundin Emmy Sanders besucht, als Sie in New York waren? Haben Sie etwas an Atlantic Monthly geschickt? An The American ? Außerdem sagten Sie, Mr. Seymour habe das Manuskript von Liebe und Ethik vorliegen, doch man hat mich nicht über den Stand der Veröffentlichung unterrichtet.
Mamah wand sich innerlich, als sie die Liste dieser Fragen las. Sie würde Ellen umgehend antworten müssen, um sie Punkt für Punkt zu beruhigen.
Im Gegensatz dazu ließ der nächste Absatz sie beinahe einen Freudensprung machen. Ich autorisiere Sie, umgehend mit der Übersetzung von Missbrauchte Frauenkraft und Die Frauenbewegung zu beginnen .
Diese Aussicht auf neue Aufträge hieß, dass Ellen sie nicht aufgegeben hatte. Gegen Ende ihres Briefs erkundigte sie sich nach Mamahs Leben in Taliesin.
Es war bedauerlich für mich, zu erfahren, dass Ihre Situation mit Mr. Wright unerquickliches öffentliches Aufsehen hervorgerufen hat. Bei der Lektüre Ihres Berichts über Ihren Abschied von den Vereinigten Staaten vor zwei Jahren war ich sehr besorgt über die Art und Weise, in der Sie sich entschieden haben, gewisse Pläne weiterzuverfolgen. Es entsprach immer meinem Glauben und meiner ausdrücklichen Philosophie, dass der legitime Anspruch auf eine freie Liebe niemals auf Kosten der mütterlichen Liebe akzeptiert werden kann. Es bekümmert mich zutiefst, dass die Worte,mit denen ich mich diesbezüglich an Sie gewandt habe, falsch verstanden wurden. Ich bitte Sie dringend, diese Angelegenheit nochmals zu überdenken und zu Ihren Kindern zurückzukehren, sollte deren Glück in irgendeiner Weise in Frage gestellt sein.
Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze. Ich vertraue darauf, dass Sie eine Entscheidung in Harmonie mit ihrer Seele treffen werden.
Ellen Key
Mamah musste sich setzen. Sie nahm den Brief mit in ihr frisch verputztes Arbeitszimmer und ließ sich, mit dem Brief auf dem Schoß, auf einen Stuhl sinken und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Der Kalkgeruch, den der feuchte Verputz verströmte, vielleicht auch der Brief selbst, verursachte ihr einen sauren Geschmack im Mund. Sie kauerte wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl, kniff die Augen zu und fühlte sich wie eine dumme, egoistische Närrin. Sie hatte so viele Leben in Unordnung gebracht. Hätte sie nur noch ein paar Jahre gewartet… wäre sie doch einfach mit den Kindern nach Boulder gezogen… Doch wovon hätten sie leben sollen? Sie hatte das
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