Kein Blick zurueck
die das In-die-Ferne-schweifen und Sich-wieder-Zurückziehen ihres Blicks, ihrer Gedanken oder ihrer Seele begrenzten. Hier war die »demokratische Architektur« verwirklicht, die Frank anstrebte, seit sie ihn kannte. Sie hatte ihn häufig sagen hören, die Realität eines Gebäudes sei der Raum in seinem Innern. Und was man in einen Raum hineinstellt, beeinflusst, wie man darin lebt und wozu man wird. Hier in Taliesin wollte er den Raum nicht mit Dingen vollstellen, die diesen Raum nicht adelten. Sie empfand das Gleiche.
Mamah konnte sich vorstellen, wie Frank zu diesem Hügel gekommen war und Taliesin in seinen Gedanken allmählich Form angenommen hatte. Ohne die Begrenzungen einer vorstädtischenParzelle war er frei, Sonne, Wind und Aussicht in tiefen Zügen in sich aufzunehmen. Sie sah ihn dort stehen, wie er, die Nase in den Wind gereckt, wie ein Vorstehhund Witterung aufnahm und den Ort in sich einsog, etwas, das er häufig tat, wenn eine Idee in seinen Gedanken langsam Gestalt annahm. Ziemlich bald würden die Quadrate und Rechtecke, die Kreise und Dreiecke in seinem Kopf sich wieder und wieder neu ordnen. Es konnte wochenlang dauern, bis der Bleistift das Papier berührte. Wenn es so weit war, dauerte es eine Stunde, in der er wie ein Rasender zeichnete, bis ein hervorragender Entwurf zu sehen war. Wie oft schon hatte sie ihn mit einer gewissen Bravour sagen hören, »Das habe ich einfach so aus dem Ärmel geschüttelt«, als wäre es das Einfachste der Welt, während er in Wirklichkeit wochenlang in seinem Kopf an dem Entwurf herumgetüftelt hatte. Bei anderer Gelegenheit nahm er Kompass und Reißschiene und spielte stundenlang auf dem Papier, entwickelte und verwarf eine Idee, genauso, wie er es als Junge mit seinen Fröbel-Bausteinen getan hatte.
Sie verstand seinen kreativen Prozess nur bis zu einem gewissen Grad. »Es ist ein Geheimnis«, sagte er einmal, »sogar für mich.« Beweis dafür war die jungenhafte Freude, die er empfand, wenn eines seiner Gebäude schließlich fertig war. Er wirkte ebenso begeistert wie ein vollkommen Fremder, der zum ersten Mal einen Blick darauf warf.
Es war keine Frage, dass die Männer, die an Taliesin gearbeitet hatten, mächtig stolz darauf waren. Bis zum letzten Mann waren sie Frank ergeben, vielleicht, weil er sie niemals auffordern würde, etwas zu tun, das er nicht auch selbst getan hätte. Er respektierte, was sie konnten und wer sie waren, und sie erwiderten dieses Gefühl. Es hieß stets »Mr. Wright«, niemals »Frank«. Doch sie hatten keine Scheu, sich über fehlende Arbeitsskizzen zu beschweren oder darüber, dass erseine Pläne vor Ort wieder und wieder veränderte. Sie waren nicht so respektvoll, dass sie ihn nicht zum Gehen aufgefordert hätten, wenn er während der Arbeit um sie herumstrich. Auch die letzten Skeptiker waren schließlich für die Sache gewonnen worden, als sie die fremdartige Schönheit Taliesins erkannten, dieses »organischen« Hauses, das sie mit eigenen Händen aus dem Land Wisconsins, aus Sand und Holz errichtet hatten.
Im November fühlte man sich im Wohnzimmer wie in einem Camp. An den meisten Abenden versammelten sich die Arbeiter, die von ihren Familien getrennt waren, noch in Jacken und Mützen vor dem größten Kamin, um sich aufzuwärmen. Ein schüchterner Kerl, ein Assistent des norwegischen Steinmetzen, spielte dann regelmäßig auf seiner Blechflöte.
Eines Abends baute Mamah Franks Kamera im Wohnzimmer auf und ließ die Männer sich davor in Positur stellen. Es war schwierig, sie alle zum Stillhalten zu bewegen. Sie setzten ihr Geplänkel fort, lachten und zogen den jungen Mann auf, der erst vor kurzem geheiratet hatte, und behaupteten, er sähe auf dem Bild dick aus. »Vielleicht hat er Sehnsucht nach seiner neuen Frau«, sagte jemand, »aber hungern tut er deswegen nicht.« Ihre Scherze zeigten, wie entspannt sich die Männer in ihrer Gegenwart mittlerweile fühlten. Dennoch verhielten sie sich respektvoll ihr gegenüber, traten sogar als ihre Beschützer auf. Wenn einer von ihnen zu einer etwas anrüchigen Geschichte anhob, solange sie in Hörweite war, wurde ihm rasch das Wort abgeschnitten. Als sie durch den Sucher spähte, bedauerte sie, was der Verschluss nicht einfangen konnte: die Dialekte aus Irland, Norwegen und dem tiefsten Wisconsin. Den süßen, hohen, sehnsüchtigen Klang der Flöte. Den Geruch der Männer nach Tabak und Schweiß unter mehreren Wollschichten. Doch dieKamera würde ihre schwieligen Hände
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