Kein Blick zurueck
Seymour Geld geben musste, damit Liebe und Ethik und The Morality of Woman gedruckt werden können. Ich habe versucht, ihr freundlich zu erklären, dass kein anderer Verleger eines von beiden in die Hand nähme. Ich zögere, ihr zu sagen, wie schlecht ich vergangenen Sommer bei Putnam’s behandelt wurde, als ich in New York Station gemacht habe. Sie wollten von meinem Vorschlag, ihre Essays über die persönliche Freiheit zu verlegen, nichts wissen. Ihre Ausrede lautete, ihr Londoner Haus handhabe alle ihre englischen Übersetzungen. Offenbar hat sie ihnen nicht erzählt, dass ich für das amerikanische Publikum übersetzen werde. In Wahrheit habe ich hinter ihrem mangelnden Interesse jedoch noch etwas anderes gespürt – Angst. Zu kontrovers.
Vergangene Woche erhielt ich mit der Post einen beunruhigenden Brief von einem Mann aus New York, einem gewissen Mr. Hübsch, der darauf besteht, Ellen Key habe ihm die Exklusivrechte für die amerikanische Veröffentlichung von Liebe und Ethik übertragen. Wie außerordentlich seltsam. Wer hätte gedacht, dass es um das Übersetzen genau so übel bestellt sein könnte wie um die Schwarzbrennerei? Man verdient daran so wenig, dass ein Diebstahl kaum der Mühe wert erscheint.
Frank hat damit begonnen, einen Damm zu errichten, um hier auf dem Gelände eine eigene Energiequelle zu schaffen. Er sagt, er will auch einen Teich für Wasservögel anlegen. Taliesin nimmt Gestalt an. Bald werde ich mein eigenes Arbeitszimmer haben!
Frank stand wie immer bei Tagesanbruch auf. Der Himmel bildete ein rosiges Zelt über dem blassen Horizont, als er aus dem Haus ging, um Holz zu holen. Der Heizkessel funktionierte nicht – einige Teile dieses Kolosses fehlten noch –, und Mamah glaubte nicht, dass Frank das auch nur im Geringsten bekümmerte. Er liebte es, im Ofen und in den offenen Kaminen lodernde Feuer zu entfachen. Sie blieb im Bett, bis sie sich allmählich schuldig fühlte, dann streckte sie einen Fuß unter der Decke hervor, um die Luft zu testen. Eiskalt. Gleich würde er ihr Strümpfe, das Kleid und die wollene Unterwäsche bringen, die sie am Abend zuvor herausgelegt hatte. Letzte Woche hatte er die Kleider am Feuer angewärmt. Als er sie ihr dann gebracht hatte, war sie aus dem Bett gesprungen und beim Ankleiden auf dem kalten Fußboden herumgetänzelt und hatte dann den Kaffeekocher auf den Herd gestellt.
Als er gegen acht Uhr dreißig das Haus verließ, um den Zug in die Stadt zu nehmen, sah sie ihm nach, als er die Straße hinunterfuhr. Als sein Wagen an einem Wassergraben voller Rohrkolben vorbeifuhr, scheuchte er eine Schar Kanadakranicheauf. Sie flogen rufend auf und reckten ihre langen Hälse und Schnäbel zu perfekten Pfeilen, als sie sich wie Frank nach Süden wandten.
In der Absicht, sich fertig einzurichten, solange Frank weg war, ging Mamah in den Schuppen, um ihre restlichen Besitztümer ins Haus zu tragen. Sie nahm eine Kerze mit in das dunkle kleine Gelass und drückte die Tür weit auf, um so viel Tageslicht wie möglich hineinzulassen. Mamah stöhnte, als das Kerzenlicht das Chaos im Innern offenbarte. Papier- und Stofffetzen lagen um die angenagten Kisten herum, deren Inhalt von Tieren zerbissen worden war.
Sie sank auf die Knie, um zu prüfen, was von der Kiste mit den alten Fotografien noch übrig war. Den Exkrementen auf dem Fußboden nach zu urteilen, hatten Waschbären die Ecken der Fotos angenagt. Sie dachte, wenn sie sie zurechtschnitt und neu rahmte, könnte sie sie vielleicht retten, doch als sie den Inhalt genauer überprüfte, sank ihr Mut. Sie stieß auf ein zwanzig Jahre altes Familienporträt, das unwiderruflich in Fetzen war, die Beine ihrer Eltern und Schwestern abgefressen.
Mamah war übel, als sie die Überreste ihrer Besitztümer ins Haus trug. Die Kleider waren ihr nicht so wichtig, doch der Verlust dieses Porträts schmerzte sie. Und sie fürchtete sich davor, die Kiste mit den halb fertiggestellten Übersetzungen auszupacken.
Zehn Monate waren vergangen, seit Frank, von Hoffnung und Plänen für ihre Zukunft in Wisconsin erfüllt, in Berlin aufgetaucht war. Damals hatte sie sich vorgestellt, glücklich wie eine Königin in einem Zimmer mit einer großartigen Aussicht über die Hügellandschaft an ihrem eigenen Schreibtisch zu sitzen und zu übersetzen – ein Bild, das sie mit der Bildunterschrift DIE STIMME ELLEN KEYS IN AMERIKA BEI DER ARBEIT versehen hätte. Als sie jetzt die Kiste mitden Übersetzungen öffnete, empfand sie
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