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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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beinahe vor sich sehen, wie sie an der Tür stand, das rotgoldene Haar wie ein Gibson Girl zu einem Knoten geschlungen. Sie war eine attraktive Frau, die eine gewisse Würde ausstrahlte.
    »Die Welt kann in Zusammenhang mit dieser Affäre unmöglich alles verstehen. Es genügt nicht, zu wissen, dass ich keine Schritte hinsichtlich einer Scheidung unternehmen werde, dass ich in keiner Weise die Gerichte anrufen werde, dass ich in diesem Moment zu meinem Mann stehe. Ich bin seine Frau. Er liebt seine Kinder sehr und ist außerordentlich auf ihr Wohlergehen bedacht. Er wird zu ihnen zurückkehren und das öffentliche Aufsehen vergessen machen und die Öffentlichkeit am Ende für sich gewinnen. Falls diese Öffentlichkeit es will, kann sie alles, was geschehen ist, mir anlasten, und ich werdees willig zu tragen wissen, und mein Platz wird weiterhin hier in diesem Haus sein.«
    Frank hatte sich in Catherine geirrt. Sie hatte schließlich doch geredet. Mamah stellte sich vor, wie der Reporter zu ihr sagte: »Das ist Ihre Chance, Ihre Version der Geschichte zu erzählen.« Beim Lesen des Artikels begegnete Mamah immer wieder Catherines Schmerz.
    »Er hat sein ganzes Leben lang gekämpft. Als er als junger Architekt hierher kam, hatte er gegen jede einzelne Idee in der Architektur anzukämpfen. So kämpfte er Jahr um Jahr gegen Hindernisse, die einen gewöhnlichen Mann zu Fall gebracht hätten… Er hat die kolossalsten Schlachten geschlagen. Eine solche schlägt er auch jetzt, und ich weiß, er wird gewinnen. Ich habe an seiner Seite gekämpft, und dieser Kampf hat mich geprägt. Wer immer ich, abgesehen von meiner guten Herkunft, als Frau bin, verdanke ich dem Beispiel meines Mannes… Es dürfen nicht für alle die gleichen moralischen Maßstäbe gelten.«
    Mamah holte den Hustensirup hervor und nahm einen Schluck aus der Flasche. Ihr Blick fiel auf eine kleingedruckte Überschrift, die ihr schon am Abend zuvor aufgefallen war und die sie ins Kissen zurückgeworfen hatte.
    NICHTS ANDERES ALS EIN VAMPIR
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    »Wir haben sechs Kinder. Der älteste Junge ist neunzehn, und er ist gerade vom College zu Hause. Die Kinder verehren ihren Vater und lieben ihre Mutter. Könnte ich sie jetzt beschützen, wäre mir alles andere einerlei. Im Hinblick auf Mrs. Cheney habe ich nichts zu sagen. Ich bemühe mich, sie im Zusammenhang mit dieser Situation aus meinen Gedanken zu verbannen.In dieser Angelegenheit handelt es sich schlicht um eine Kraft, gegen die wir uns behaupten müssen. Ich hatte nie das Gefühl, die gleiche Luft zu atmen wie sie. Bei ihr handelt es sich um nichts anderes als um einen Vampir – man hat schon von solchen Dingen gehört.«
    Mamah verkroch sich ins Bett. Sie empfand eine Scham, die schrecklicher war als alles, was sie je zuvor erlebt oder sich vorgestellt hatte.
    Catherine, Edwin, Lizzie. Welchen Widerlichkeiten waren sie ausgesetzt? Sie stellte sich die Demütigung Edwins vor, als Hahnrei dargestellt zu werden. Und Lizzie, die die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht hatte, nach Möglichkeit unbemerkt zu bleiben, welcher Hölle war sie ausgesetzt? Eine Schlagzeile hatte einfach gelautet: Mrs. Cheneys Schwester in der Verantwortung.
    Es war John, an den sie jetzt am meisten dachte. Martha würde nicht verstehen, was vor sich ging, doch John würde wissen, dass etwas Entsetzliches geschehen war; er würde leiden.
    Die Zeiger der kleinen Uhr auf dem Beistelltischchen rückten auf neun Uhr. Sie zählte das Ticken und wartete darauf, dass die Medizin den schrecklichen Schmerz in ihrer Brust dämpfen würde. Und sie dankte Gott, dass ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter, nicht mehr lebten.
    Mamah dachte an den Tag zurück, als sie den Hustensirup gekauft hatte. In der St. Hedwigskirche hatte sie von der Kirchenbank eine Broschüre mitgenommen und daraus einiges über die Namensgeberin der Kirche erfahren. Die Heilige hatte ein härenes Hemd getragen und auf dem Fußboden geschlafen, übliche Kasteiungen. Doch Hedwig hatte eigene Besonderheiten gehabt. Auf ihren Reisen umgab sie sich mit Bettlern – dreizehn an der Zahl, immer dreizehn –,deren einzige Funktion darin bestand, sich am Ende des Tages von ihr die Füße waschen zu lassen. Glück für Hedwig, wenn sie einem Aussätzigen begegnete, der ihr erlaubte, seine Geschwüre zu küssen.
    Eine Verrückte, hatte Mamah damals gedacht. Inzwischen hätte auch sie die Möglichkeit willkommen geheißen, die Wunden eines Aussätzigen zu küssen, wenn es

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