Kein Blick zurueck
eingewöhnen und mit der Arbeit an deiner Mappe beginnen. Im Juni komme ich zu dir nach Italien, und wir verbringen den Rest des Sommers zusammen.« Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Ich liebe dich so sehr. Ich liebe dich genug, um von dir getrennt sein zu wollen. Du bist ein außergewöhnlicher Mann, Frank Wright. Ich könnte mich so leicht in deiner Welt verlieren und mir niemals eine eigene schaffen. Und wohin kämen wir dann? Wir würden uns beide zu Tode langweilen.« Frank lächelte schwach. Er hob die Hände und legte sie auf die ihren.
»Ist das zu viel verlangt? Sag es mir, Frank. Denn ich habe das Gefühl, als hätte ich mein ganzes Leben lang nie für mich selbst nach Liebe oder Arbeit verlangt. Mit Ausnahme der letzten zwei Wochen, in denen ich tatsächlich meinen Kopf benutzt habe.«
Er seufzte. »Was für eine Wahl habe ich denn?«
»Du kannst zwei Monate mit Lloyd verbringen und musst dir keine Sorgen machen, dass ich auch da bin. Und ich werde in relativer Nähe zu Wasmuth sein. Ich kann nach Berlin fahren und als deine Agentin auftreten, solange du in Italien bist.«
»Hüte dich vor Patentrezepten«, sagte er, als hätte er ihre letzte Bemerkung gar nicht gehört.
»Was meinst du damit?«
»Versteige dich nicht in dem Glauben, Ellen Key könnte die Urteile revidieren, die man in den Chicagoer Zeitungen über uns fällt. Ihre Bücher werden niemals bis zu den Kleingeistern vordringen, die diesen Unsinn lesen und daran glauben.«
»Woher weißt du das? Du hast noch nie ein Buch von ihr gelesen.«
»Nein, das habe ich nicht. Ich weiß nur, was du mir erzählt hast. Aber ich kann sehen, wie unwiderstehlich du ihre Gedanken findest. Schau, sie sind eine Rechtfertigung. Mir gefällt dieser Gedanke auch. Was ich sagen will, ist nur, dass ich nicht eine wunderbare Frau, die ich wahnsinnig liebe, an irgendeine feministische Ideologie verlieren möchte. Vergiss nicht, wer Mamah Borthwick ist. Das ist alles.«
Frank stand auf, ging im Zimmer umher und hob seine Sachen auf, tief in Gedanken versunken. Mamah setzte sich in einen Sessel und schloss die Augen. Ihre rechte Hand, die in ihrem Schoß lag, fühlte sich an wie ein brennender Ball. Zwei Wochen lang hatte sie ihre Übersetzungen wieder und wieder neu geschrieben, bis ihr die Finger nicht mehr recht gehorchen wollten. Tatsächlich schmerzte aus unerfindlichen Gründen ihr ganzer Körper, doch ihre Gedanken waren klar. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie würde heute an Edwin schreiben und offiziell um die Scheidung nachsuchen. Und sie würde Lizzie schreiben und sie bitten, noch eine Weile mit den Kindern auszuhelfen.
Ein Briefchen an Martha wäre leicht. Doch was sollte sie zu einem achtjährigen Jungen sagen?
Mamah nahm einen Bogen Briefpapier aus ihrem Koffer und setzte sich an den Schreibtisch. Sie starrte lange auf das Papier, bis sie endlich zu schreiben begann.
Lieber John,
ich bin jetzt in Paris. Wusstest Du, dass hier gerade eine große Überschwemmung war? Das Wasser aus dem Fluss stieg an einigen Stellen bis zur zweiten Etage der Häuser. Ich war nicht in der Stadt, als es am schlimmsten war, aber man hat mir erzählt, dass die Menschen in Booten durch die Straßen gerudert sind. Das Wasser ist wieder gefallen, und die Sonne scheint. Die Menschen auf den Straßen lächeln wieder.
Ich hoffe, Du lächelst auch, mein Liebling. Ich vermisse Dich schrecklich. Jedes Mal, wenn ich um eine Ecke biege, werde ich an Dich erinnert. Ich sehe so vieles, das Dir gefallen würde, und eines Tages werde ich mit Dir hierherkommen, damit Du es selbst sehen kannst.
Ich wäre so glücklich, wenn ich mit Dir und Martha zusammen sein könnte. Ein paar Monate lang werde ich lernen, genau wie Du. Ich will in Deutschland Schwedisch lernen, damit ich Bücher übersetzen kann. Das wird meine neue Aufgabe sein.
Alles wird gut werden, Johnny. Ich weiß, dass Dein Papa und Tante Lizzie und Louise gut auf Dich aufpassen. Glaube nicht, dass ich Dich nicht liebe oder dass Du etwas falsch gemacht hast. Du bist ein guter, tapferer Junge, mein Liebling. Du bist der beste Sohn, den man sich wünschen kann. Sei lieb zu Deiner kleinen Schwester. Aber ich weiß, dass Du das ohnehin bist.
Ich liebe Dich,
Mama
Kapitel 26
In Leipzig war Mamah doppelt so alt wie die anderen Studenten. Sie saß hoch aufgerichtet da und kritzelte schwedische Sätze in ihr Notizbuch, während überall um sie herum junge Männer auf ihren Plätzen lümmelten, trunken vomnahenden
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