Kein Blick zurueck
gerührt von Ellens kleinen, weiblich-netten Gesten. Gerda, das Hausmädchen, brachte ihr jeden Morgen auf einem blumengeschmückten Tablett das Frühstück ans Bett. Die Laken dufteten, als hätte man Flieder dazwischengelegt.
In den Stunden, die sie miteinander verbrachten und in denen sie sich über so vieles austauschten, beobachtete sie Ellens Gesicht. Hier war Ellen gelassen, weniger dogmatisch. Tatsächlich war sie sogar mütterlich. Mamah fragte sich, welche Trauer sie in ihrem Leben erfahren hatte. Wie kam es, dass sie nun allein lebte? Der Leipziger Schwedischprofessor hatte von einem verheirateten Mann in ihrem Leben gesprochen,der es nicht geschafft hatte, seine Frau zu verlassen. Mamah wollte sie eigentlich danach fragen, hielt sich jedoch zurück. In dieser Hinsicht glich Ellen Key ihrer Schwester Lizzie. Sie war von einer tiefen Güte, hielt jedoch die meisten Menschen eine Armlänge auf Distanz.
Doch Mamah konnte sehen, dass ihr Besuch Ellen Freude bereitete. Zu ihrer Überraschung stellte sie außerdem fest, dass die große Philosophin ein wenig eitel war. Bei Gelegenheit zeigte sie Mamah einen Ausschnitt aus einer Zeitschrift mit einem offiziellen Porträt, das ein norwegischer Künstler gemalt hatte.
»Was halten Sie von der Ähnlichkeit?«, fragte sie.
Mamah betrachtete das Bild genau. »Er hat Sie als Seherin dargestellt, nicht wahr? Als eine Art Hohepriesterin. Es weist eine schöne Ähnlichkeit auf.«
Ellen strahlte.
»Aber diese Vorhänge«, sagte Mamah spielerisch und zeigte auf die gegenstandslosen Vorhänge, die über die beiden oberen Ecken des Gemäldes geschlungen waren. »Können Sie ihn nicht überreden, die zu übermalen? Meine Güte. Sie sehen aus wie zwei hässliche Kleckse auf beiden Seiten neben Ihrem Kopf.«
Ellen warf ihr einen beleidigten Blick zu. Dann brach sie in Gelächter aus. »Ich mag es, wenn jemand seine Meinung sagt.«
Später an diesem Tag spazierten sie zum Wasser hinunter. Mamah spürte die trockenen Farne um ihre Knöchel streifen. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen im Pavillon auf den Boden und horchte auf die Wellen, die unter ihr gegen die Felsen schwappten. Sie wünschte sich ein solches Zuhause für sich selbst. In der Vergangenheit hatte sie nur eine abstrakte Vorstellung von einem Haus für sich und Frank gehabt,doch inzwischen konnte sie sich ein paar Einzelheiten vorstellen. Es sollte auf dem Land liegen, in der Nähe von Wasser, doch auch in der Nähe einer Stadt, so wie dieses Haus nahe Stockholm. Ein Zuhause, an das Gäste sich wegen kleiner Annehmlichkeiten erinnern würden. Frank würde ein Wunder aus Raum und Licht erschaffen. Und sie würde ihm eine Atmosphäre geben, wie sie sie in diesem Haus empfand.
Die Vormittage verbrachten sie in Ellens Arbeitszimmer und unterhielten sich. Mamah vermutete, dass die Briefstapel auf Ellens Schreibtisch von all den berühmten Leuten stammten, von denen sie sagte, dass sie mit ihnen korrespondierte. Als sie in dem sonnendurchfluteten Zimmer saß, während draußen eine Brise vom See die Birkenblätter zum Erzittern brachte, fühlte sie sich von der Ehre überwältigt, in Strand zu den ersten Gästen zu zählen. Wie seltsam, einer Frau gegenüberzusitzen, die in den Augen ihrer Landsleute Ibsen und Strindberg ebenbürtig war.
Fotos von Ellens berühmten Freunden – Rilke, Björnsen – hingen an der Wand über ihrem Schreibtisch, dazwischen bunte Szenen aus dem Familienleben, gemalt von ihrem Freund Carl Larsson. Mamah versuchte sich vorzustellen, welches Geschenk sie ihr für dieses Haus machen könnte, das den persönlichen Gegenständen angemessen wäre, die Ellen bereits um sich versammelt hatte. Dann fiel es ihr ein. Sie würde Frank bitten, ihr als Geschenk für Ellen einen seiner geliebten Hiroshiges zu schicken.
»Frauen müssen ihre Persönlichkeit von innen heraus entwickeln«, sagte Ellen. Sie hatten stundenlang darüber gesprochen, wie es Mamah gelingen könnte, Ellens Essays in dem Magazin The American unterzubringen, wie verschiedene Aufsätze zugänglicher gemacht und die Leserinnenin den Vereinigten Staaten am besten erreicht werden könnten.
»Es ist schwer zu sagen, wie The Morality of Woman aufgenommen wird, wenn es dort veröffentlicht wird«, sagte Mamah. »Für die amerikanische Frauenbewegung stehen das Wahlrecht und gleiche Bezahlung im Vordergrund.«
Gerda kam ins Arbeitszimmer und brachte ihnen das Mittagessen: Koteletts mit Kartoffeln.
»Die Frauen von konventionellen
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