Kein Blick zurueck
konsultiert hatten, beträchtlich gestiegen. Seit damals hatten sie und Frank kein persönliches Wort mehr gewechselt.
Ausgehend von irgendeinem baulichen Detail, hatten sie während der Bauphase immer wieder intensive Diskussionen geführt. Diese sechs Monate der Zusammenarbeit erschienen ihr heute in verklärtem Licht. Frank Lloyd Wright hatte ihr Denken angefacht wie niemand sonst, den sie bis dahin kennengelernt hatte. Anfangs kreisten ihre Diskussionen um Gedanken und Ideen. Sie unterhielten sich über Ruskin, Thoreau, Emerson, Nietzsche. Mamah erzählte ihm von ihrer Leidenschaft für Goethe. Er sprach voller Hochachtung von den Jahren, in denen er für Louis Sullivan gearbeitet hatte, den großen Architekten, den er »Lieber Meister« nannte.
Sie begannen, einander als Außenseiter wahrzunehmen und witzelten über die »Ruhestätte der Heiligen«, ein Name, den Oak Park sich für seine Kirchtürme und die fehlenden Kneipen erworben hatte. In der Gemeinde war offensichtlich, dass die Menschen in Frank einen Künstler sahen, der im Kommen war. Was ihn faszinierte, war, dass auch sie sich als Außenseiterin sah.
»Ich bin wie der Stamm eines Kaktus, schätze ich«, sagte sie zu ihm. »Ich nehme eine Dosis Kultur und Zeit mit meinen Freunden in mich auf, dann ziehe ich mich zurück und zehre davon, bis ich wieder durstig bin. Es ist nicht gut, so sehr nach innen zu leben. Eigentlich ist es ein selbst auferlegtes Exil. Man verändert sich.«
Ihre tiefschürfenden Diskussionen standen in starkem Kontrast zu ihren Unterhaltungen mit Edwin. Als Mamah sichdabei ertappte, dass sie bestimmte Einsichten für Frank zurückhielt – Gedanken, die sie mit ihrem Mann niemals geteilt hätte –, wusste sie, dass sie einander zu nahe gekommen waren.
In der Zwischenzeit hatten die beiden Paare sich sehr miteinander angefreundet. Als sie begriff, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte, war das Haus beinahe fertiggestellt. Und sie hatte sich Catherine zugewandt und Nähe zu ihr aufgebaut.
Es war bei der Einweihungsparty gewesen, dass Mamah Catherine aufgefordert hatte, im Frauenclub des 19. Jahrhunderts mit ihr gemeinsam über Goethe zu sprechen. Inzwischen verstand sie, was sie da getan hatte. Ohne es recht zu wissen, hatte sie Catherine als Puffer zwischen sich und Frank benutzt.
Während sie sich ins Badewasser sinken ließ, erinnerte Mamah sich an eines ihrer letzten Treffen mit ihm. Die Erinnerung daran war ein privater Ort gewesen, den sie in den vergangenen zwei Jahren immer wieder aufgesucht hatte. Es war im Jahr 1904 gewesen; und das Haus beinahe fertiggestellt. Sie und Edwin und John wohnten mittlerweile darin. Frank steckte mitten in der Arbeit am Unitariertempel und war viel zu beschäftigt, um vorbeizukommen und am Haus die letzten Einzelheiten abzustimmen. Dennoch war er eines Morgens aufgetaucht, hatte ein paar Pläne auf den Tisch fallen lassen und gesagt: »Wir sollten ein paar Dinge klären.«
Sie hatte ihn unschuldig angesehen, obwohl sie entsetzt gewesen war, dass er mit einer Erklärung seiner Gefühle herausplatzen könnte.
»Zunächst, wie zum Teufel kommst du zu einem Namen wie Mamah?«
Sie hatte gelacht. »Komisch, nicht wahr? Nun, mein wirklicherName lautet Martha, aber meine Großmutter begann, mich Mamah zu nennen, als ich noch ziemlich klein war. Ich glaube, sie nannte mich so, weil es französisch klang. Sie war Französin, musst du wissen, und stammte von Philippe de Valois ab, dem Marquis de Villette – einem hoch dekorierten Offizier des königlichen Militärordens des heiligen Soundso.«
»Stammt daher deine Sprachbegabung?«
»So hat es angefangen. Sie bestand darauf, dass wir zu Hause französisch sprachen, wenn sie zu Besuch kam.« Mamah sprang auf. »Möchtest du sie im Ballkleid sehen? Mir ist beim Durchsuchen einer Schachtel gerade ein Foto von ihr in die Hände gefallen.« Sie ging ins Schlafzimmer, wo die Möbelpacker ihre Sachen abgestellt hatten, und brachte einen Karton mit an den Esszimmertisch.
Frank hatte laut aufgelacht, als er das Porträt gesehen hatte. Eine zartgliedrige Marie Villette Lameraux saß im Studio eines längst verschiedenen Fotografen vor einem gemalten Hintergrund des Olymps, die mädchenhafte Gestalt über und über mit Girlanden behangen, von den zu Schnecken gerollten Zöpfen über ihren Ohren bis hin zu den üppigen Schleifen, die mittels Rosetten an ihrem Kleid befestigt waren. Sie starrte grimmig in die Kamera.
Frank grinste und stand auf, um
Weitere Kostenlose Bücher