Kein Blick zurueck
als Frank in die Stadt gegangen war, um die Post zu holen und ein paar Besorgungen zu machen, brach sie mit dem Skizzenblock unter dem Arm zu ihrem üblichen Spaziergang auf, die Via Verdi hinauf, um sich in den entfernteren Hügeln unbebaute Areale zu notieren.
»Buon giorno!«, rief Taylor Woolley ihr zu und kam zum Ausgleich für sein lahmes Bein hüpfend auf sie zu. »Ich wusste nicht, dass Sie zeichnen«, sagte er, als er sie erreichte.
»Oh, ich zeichne nur als Erinnerungshilfe. Frank ist in der Stadt. Möchten Sie mitkommen?«
»Heute sollte ich besser hierbleiben. Ich reise morgen nach Deutschland, wissen Sie.«
»Ist das möglich? Ich dachte, Sie führen erst nächste Woche.«
»Ich habe mich entschlossen, einen Zahn zuzulegen, damit ich vor meiner Rückkehr noch ein bisschen reisen kann.« »Oh, Taylor, ich werde Sie vermissen. Dann weiß ich, was wir heute Abend machen. Wir veranstalten ein Abschiedsessen.«
»Das würde mich freuen.« Er winkte ihr auf Wiedersehen zu und trat in den Garten. »Bis heute Abend!«
Auf dem Weg in die Stadt hielt sie bei Esteros Haus und bat für diesen Abend um ein besonderes Menü.
Von einem Punkt auf der Hügelkuppe ließ Mamah ihren Blick über die Landschaft schweifen, die Fiesole umgab, und hielt in der Ferne nach Stellen Ausschau, wo ein verputztesHaus in eine der lohfarbenen Senken zwischen den Hügeln passen könnte. Sie zeichnete die Umrisse des Hügels auf ihren Block und markierte mit unregelmäßigen Kreisen die unbebauten Stellen.
Mamah erlaubte es sich, von einem Leben mit Frank in Italien zu träumen. Sie sah ihre Kinder vor sich, die die eine Hälfte des Jahres bei ihnen verbrachten. Das war der schönste Gedanke, den ihre Fantasie zuließ, und sie sah ihn plastisch vor sich – John und Martha, die auf der Erde hockten und mit anderen Kindern Murmeln spielten; ihre Stimmen vermischten sich mit denen der anderen Kinder, denn wie alle anderen sprachen sie italienisch.
Es wäre keine dauerhafte Regelung, aber ein freiwilliges Exil für zwei Jahre. In der Zwischenzeit würden Edwin und Catherine hoffentlich in die Scheidung einwilligen. Sie würde Frank zu dieser Stelle führen, vielleicht morgen schon, um ihm zu zeigen, wo er vielleicht würde bauen können.
»Heiß heute.« Taylor presste den Ärmel auf die Stirn, auf der Schweißperlen standen. »Das ist die letzte Zeichnung, und ich fürchte, Schweißtropfen darauf zu hinterlassen.« Mamah stand ein paar Meter von ihm entfernt. Sie beugte sich vor und studierte blinzelnd die Bücherrücken, die die Regale in Franks Studio säumten. Sie suchte nach Vasaris Leben , das sie Frank vor noch nicht einmal einer Woche hatte lesen sehen, konnte es aber nicht finden. Sie richtete sich auf und klopfte ihre Taschen ab, dann setzte sie die Brille auf, die sie ständig verlegte, und fand es prompt: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister. Frank hatte bewundernd von Vasaris Darstellungen Giottos und Brunelleschis und anderer Italiener gesprochen, die die Grenzen zwischen Malerei, Skulptur und Architektur gesprengt hatten.
Als sie das Buch aus dem Regal zog, fiel ein Briefbogen heraus,der in der Innenseite des Umschlags gesteckt hatte. Es war ein Brief, den Frank an jemanden namens Walter geschrieben hatte, datiert vom 10. Juni 1910, aus Fiesole, Italien, den er jedoch nie abgeschickt hatte. Genau der Tag, an dem ich mich in Ellens Gästebuch eingetragen habe , ging es ihr durch den Kopf.
Mamah überflog rasch diesen Brief und versuchte, seine Bedeutung zu enträtseln. In seiner engen Schrift attackierte Frank Walter wegen eines Gerüchts, Frank habe ihn, Walter, bei einem Geschäft übervorteilt. Sie stellte fest, dass es sich um Walter Griffin handelte, an den er sich wandte. Wie es schien, hatte Frank seine Schulden an Griffin in Form japanischer Holzschnitte zurückgezahlt und nicht in bar, und Walter war über diese Holzschnitte wenig beglückt.
Sie versuchte, sich Walter Griffin vorzustellen. Er hatte 1903 in Franks Studio gearbeitet, als Frank für sie und Edwin das Haus entworfen hatte. Sie erinnerte sich an ihn als einen leise sprechenden, aber impulsiven Landschaftsarchitekten mit einer brennenden Begeisterung für sein Fach.
Es war der Ton dieses Briefes, der sie beunruhigte. Frank litt sehr unter diesem Verrat Walters. Er hatte den Brief nur eine Woche vor ihrer Ankunft in Fiesole geschrieben, dennoch hatte er ihn ihr gegenüber nie erwähnt.
»Taylor«, fragte Mamah, »wissen
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