Kein Blick zurueck
Servieren noch ein wenig zu warten, ja?« Frank schob die Gläser zur Seite. Einem kleinen Etui entnahm er einen blauen Stift, den er für seine Sammlung gekauft hatte, mit der er in Berlin begonnen hatte. Er spitzte ihn rasch mit einem Messerchen, das er in der Brusttasche trug, und zeichnete dann eine unregelmäßig geschwungene Linie auf das weiße Tuch und umriss ein paar Rechtecke, die er in die Wölbungen setzte. Ihr zuliebe zeichnete er allesauf dem Kopf stehend, doch die geometrischen Formen waren eindeutig Teile eines Hauses, das an einen Abhang gebaut war. Weitere geschwungene Linien nahmen Gestalt an, die einen Fluss und weitere Hügel darstellten.
»Die Villa Medici hatte drei Stockwerke, nicht wahr?«, fragte sie.
Frank zeichnete weiter, strichelte Bäume und Straßen. Auf einem Hügel füllte er den Zwischenraum zwischen den geschwungenen Linien mit einem Flickenteppich aus Gärten aus. »Das hier ist nicht die Villa Medici.«
»Oh.« Mamahs Finger zeichnete die geschwungene Linie im unteren Teil der Zeichnung nach. »Ich dachte, das hier sei der Arno.«
»Beinahe«, sagte er. »Es ist ein Fluss, aber nicht der Arno. Es ist der Wisconsin River.«
Sie beugte sich über die Zeichnung.
»Hier ist ein Hügel«, sagte er, »zu dem ich als Junge oft gegangen bin, in der Nähe der Farm meines Großvaters, wo meine Tanten ihre Schule hatten. Dieser Hügel war damals für mich ein magischer Ort. Im Sommer, wenn ich auf der Farm meines Onkels arbeitete, ging ich von allen weg dorthin, setzte mich einfach irgendwo hin und blickte auf die Baumwipfel hinunter. Der Hügel ist groß und rund – wie die Krone eines Kopfes. Direkt unterhalb der Hügelkuppe möchte ich ein Haus bauen, Mamah. Unser Haus.«
Bei diesem Gedanken sank Mamah das Herz.
»Ich träume schon die ganze Zeit von diesem Haus«, sagte er. »Es steht mit dem Rücken zum Hügel, und mit seinen Flügeln umarmt es ihn. Es besteht aus demselben Kalkstein, wie man ihn in Wisconsin überall findet, und sieht aus wie ein großer, zutage liegender Felsen. Und es hat einen Hof, wie wir ihn in der Villa Medici gesehen haben. Du wirst auf allen Seiten von Gärten umgeben sein, Mamah. Du gehstvom Innenraum in den Außenraum und merkst nicht, wo das Haus endet und das Draußen beginnt.«
Er war sehr erregt. »Ich möchte dort eine Farm betreiben«, sagte er. »Ich möchte die anderen Hügel mit Obstbäumen bepflanzen. Stell dir nur einmal für einen Moment den Duft von hundert Apfelbäumen vor. Kannst du ihn riechen? Und Gemüse – Tonnen von Gemüse. Wir werden in Bändern, die sich über die Hügel ziehen, unser eigenes Essen anbauen.«
Mamah sah ihn bekümmert an.
»Ich bin nicht verrückt, Mamah. Dieser Plan ist realistisch. Ich habe deswegen bereits an meine Mutter geschrieben.« »Tatsächlich?«
»Ich glaube, sie würde das Land für mich kaufen. Niemand weiß mehr, bevor das Haus gebaut ist.«
»Du hast nie davon gesprochen, dass du – «
»Dort können wir in Frieden leben. Ich führe mein Büro von dort aus, behalte vielleicht in Chicago eine kleine Niederlassung, und du kannst übersetzen, gärtnern, tun, was dir beliebt. Ja, dort wohnen hauptsächlich Farmer, aber wir werden einen Weg finden, ein wenig Kultur nach Spring Green zu bringen. Wir lassen die Welt zu uns kommen.«
»Dort drüben ist zurzeit kein Platz für mich«, sagte Mamah. »Nicht einmal in Wisconsin. Wie dem auch sei, ich habe das alles aus meinen Gedanken verbannt. Bitte, Frank, wir sind in Italien – «
»Schau«, sagte er. »Meine Familie reicht in diesem Tal drei Generationen zurück. Das will etwas heißen – die Leute werden sich anständig benehmen. Es liegt völlig abgeschieden, mit dem Zug nach Chicago sind es nur drei Stunden. Unsere Kinder werden dort bei uns wohnen.«
Sie beobachtete die Tauben, die über der Piazza hin und her flogen. »Ich weiß, dass du Wisconsin liebst, Frank. Aber…«Sie richtete sich auf und blickte ihn freimütig an. »Wenn es nur um mich ginge«, begann sie, »würdest du an diesem Ort ein Haus für uns bauen? Die Kinder könnten Teile des Jahres hier bei uns leben. Vielleicht könnten deine Kinder in der anderen Zeit kommen.«
»Mamah.« Frank streichelte zärtlich ihre Hand. »Du träumst. Italien ist genauso wenig ein Zuhause wie – «
Mamah entzog ihm ihre Hand. »Ist Oak Park mein Zuhause? Oder Wisconsin? Ich habe kein Zuhause mehr. Wenigstens bin ich in Italien anonym.«
Der Kellner trat mit zwei großen Suppenschalen
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