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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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gewesen, dem es gelungen war, zwei verschlossene Notausgänge zu öffnen.
    »Er ist vor einigen Wochen gestorben. An einem Gehirntumor.«
    »Ich weiß.« Man hatte Gordon MacKenzie bei den Veröffentlichungen zum Jahrestag des Massakers die meisten Kommentare gewidmet.
    »Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod, Grace?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was ist mit Ihren Eltern? Werden Sie sie eines Tages wieder sehen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Kommen Sie, Grace! Ich will wissen, was Sie denken.«
    Vespas Blick wurde bohrend. Sie wurde unruhig. »Am Telefon … da haben Sie mich gefragt, ob Jack eine Schwester hat.«
    »Sandra Koval.«
    »Warum also die Frage?«
    »Gleich«, sagte Vespa. »Ich will Ihre Meinung hören. Was geschieht mit uns, wenn wir sterben, Grace?«
    Ihr war klar, dass es sinnlos war, mit ihm zu streiten. Ein falscher Unterton hatte sich in ihr Gespräch geschlichen. Etwas war anders. Er fragte sie nicht als Freund, als Vaterfigur oder aus Neugier. Er klang aggressiv. Ja, sogar wütend. Sie fragte sich, ob er getrunken hatte.
    »Es gibt ein Shakespeare-Zitat«, sagte sie. »Aus Hamlet. Es heißt, wenn ich mich recht erinnere, so ungefähr der Tod sei ein unentdecktes Land, aus dem kein Reisender je zurückkehrt.«
    Vespa zog eine Grimasse. »Mit anderen Worten wir wissen gar nichts.«
    »So ist es.«
    »Sie wissen, dass das Blödsinn ist.«
    Sie sagte nichts.
    »Sie wissen, dass da nichts ist. Dass ich Ryan nie wieder sehen
werde. Die Menschen wollen es nur nicht wahrhaben. Der schwache Geist erfindet unsichtbare Götter und Gärten und ein Wiedersehen im Paradies. Andere, wie Sie, fallen auf diesen Unsinn nicht rein, finden es jedoch zu schmerzlich, die Wahrheit beim Namen zu nennen. Also schieben sie diese ›Woher-sollen-wir-das-wissen‹-Theorie vor sich her. Aber Sie wissen Bescheid, Grace, oder?«
    »Es tut mir Leid, Carl.«
    »Was denn?«
    »Dass Sie so leiden. Aber bitte überlassen Sie mir, was ich glaube oder nicht glaube.«
    Etwas geschah mit Vespas Augen. Sie weiteten sich für einen Moment, und es war beinahe so, als lodere im Hintergrund ein Feuer. »Wie haben Sie Ihren Mann kennen gelernt?«
    »Wie bitte?«
    »Wie haben Sie Jack kennen gelernt?«
    »Was hat das denn mit der ganzen Sache zu tun?«
    Er machte einen hastigen Schritt auf sie zu. Einen bedrohlichen Schritt. Er sah auf sie herab, und zum ersten Mal wusste Grace, dass all die Geschichten, all die Gerüchte darüber, was er war, was er tat, der Wahrheit entsprachen. »Wie seid ihr beiden euch begegnet?«
    Grace versuchte, nicht ängstlich zurückzuweichen. »Das wissen Sie doch längst.«
    »In Frankreich?«
    »Richtig.«
    Er sah sie durchdringend an.
    »Was ist los, Carl?«
    »Wade Larue kommt frei.«
    »Das haben Sie bereits gesagt.«
    »Morgen gibt seine Anwältin eine Pressekonferenz in New York. Die Familien werden dort sein. Ich möchte, dass Sie ebenfalls kommen.«
    Sie wartete. Sie wusste, dass noch mehr kommen musste.

    »Seine Anwältin war brillant. Sie hat die Begnadigungskomission um den Finger gewickelt. Ich wette, dasselbe gelingt ihr mit der Presse.«
    Er hielt inne und wartete. Grace war im ersten Moment verdutzt, doch dann kroch ihr die Kälte in die Knochen. Carl Vespa sah es deutlich. Er nickte und trat zurück.
    »Erzählen Sie mir von Sandra Koval«, forderte er. »Ich kann nämlich nicht verstehen, wie ausgerechnet Ihre Schwägerin dazu kommt, jemanden wie Wade Larue zu verteidigen.«

36
    Indira Khariwalla wartete auf den Besucher.
    In ihrem Büro waren sämtliche Lichter gelöscht. Ihre Arbeit als Privatdetektiv war für heute abgeschlossen. Indira saß gern im Dunkeln. Das Problem der westlichen Welt, davon war sie überzeugt, bestand in der Reizüberflutung der Sinne. Auch sie war natürlich diesen Reizen ausgeliefert. Das war der springende Punkt. Niemand konnte sich dem entziehen. Die westliche Welt verführte einen mit ihren Reizen, der konstanten Bombardierung mit Farben, Licht und Tönen. Es hörte nie auf. Wann immer möglich, besonders am Ende des Tages, saß Indira gern im Dunkeln. Nicht um zu meditieren, wie man aufgrund ihrer Herkunft glauben könnte. Nicht, um im Lotossitz, den Daumen an den Zeigefinger gelegt, dazusitzen.
    Nein. Sie brauchte nur Dunkelheit.
    Um 22 Uhr wurde leise an die Tür geklopft. »Kommen Sie rein.«
    Scott Duncan betrat den Raum. Er machte sich nicht erst die Mühe, das Licht anzuknipsen. Indira war froh darüber. Das machte es leichter.
    »Was gibt’s denn so Wichtiges?«,

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