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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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geschlossen. Merkwürdig. Auch die Vorhänge des Zimmers, hinter dem sie sein Arbeitszimmer vermutete – sie hatte nie einen Fuß in das Haus gesetzt – waren zugezogen.
    War Freddy verreist? War er fort?
    Charlaine erblickte flüchtig ihr Spiegelbild im Fenster, und wieder überkam sie die Scham. Sie griff sich einen Bademantel – den abgewetzten Frotteemantel ihres Mannes – und schlüpfte hinein. Sie fragte sich, ob Mike eine Affäre hatte, ob eine andere Frau dieses einst unersättliche sexuelle Verlangen abschöpfte oder ob er schlicht das Interesse an ihr verloren hatte. Sie überlegte, was schlimmer wäre.
    Wo war Freddy?
    Wie erniedrigend, wie vernichtend und jämmerlich es doch war, dass ihr diese vormittägliche Eskapade so viel bedeutete. Sie starrte zu seinem Haus hinüber.
    Da bewegte sich etwas.
    Kaum merklich. Ein Schatten, der flackernd über die Längsseite einer Jalousie glitt. Und dennoch – da tat sich etwas. Vielleicht, ja vielleicht spannte Freddy wirklich wieder, steigerte auf diese Weise seine Erregung noch. Ja, das könnte der Grund sein. Die meisten Spanner geilten sich gerade an der Heimlichkeit ihrer Tat auf. Möglicherweise wollte er nicht von ihr gesehen werden. Möglicherweise beobachtete er sie gerade in diesem Moment ganz verstohlen.
    War das der Grund?

    Sie lockerte den Gürtel des Bademantels und ließ ihn über die Schultern zu Boden gleiten. Der Frotteestoff roch nach Männerschweiß und uralten Resten des Eau de Cologne, das sie Mike vor sieben oder acht Jahren gekauft hatte. Plötzlich brannten Tränen in Charlaines Augen. Doch sie wandte sich nicht ab.
    Dann erschien mit einem Mal etwas zwischen den Lamellen der Jalousien. Ein Flackern? Bläulich?
    Sie blinzelte. Was sollte das sein?
    Das Fernglas. Wo war das Fernglas? Mike hatte einen Karton mit unnützem Zeug in seinem Schrank. Sie fand ihn, wühlte sich durch die zahllosen Elektrostecker und Adapter, bis sie das Leica-Fernglas zutage förderte. Sie erinnerte sich gut, wann sie es gekauft hatten. Es war auf ihrer Kreuzfahrt in der Karibik gewesen. Sie hatten auf einer der Virgin Islands angelegt – auf welcher, hatte sie vergessen – und es war ein ganz spontaner Kauf gewesen. Deshalb erinnerte sie sich. Wegen der Spontaneität dieser so prosaischen Handlung.
    Charlaine hob das Fernglas an die Augen. Es hatte Autofokus, so dass sie es nicht einstellen brauchte. Es dauerte einen Moment, bis sie den schmalen Spalt zwischen Fenster und Jalousie gefunden hatte. Der blaue Punkt war da. Sie sah das Flackern und schloss die Augen. Sie hätte es wissen müssen.
    Der Fernseher. Freddy hatte den Fernseher eingeschaltet.
    Er war zu Hause.
    Charlaine verharrte bewegungslos auf ihrem Platz. Sie war wie betäubt. Ihr Sohn Clay hörte gern einen Song aus dem Film Shrek über einen Burschen, der mit den Fingern ein V auf seiner Stirn formte. Versager. Genau das war Freddy Sykes. Dieser kranke, unappetitliche Freddy, dieser Versager, zog doch tatsächlich eine Fernsehsendung ihrem nackten Körper in Reizwäsche vor.
    Trotzdem. Merkwürdig war es schon.
    Sämtliche Jalousien waren heruntergelassen. Warum? Sie wohnte seit acht Jahren neben dem Sykes’schen Haus. Sogar zu
Lebzeiten von Freddys Mutter waren die Jalousien und Vorhänge nie geschlossen worden. Charlaine blickte erneut durch das Fernglas.
    Der Fernseher wurde plötzlich ausgestellt.
    Sie wartete ab, was geschehen würde. Freddy hat sich in der Zeit vertan, dachte sie. Gleich würde die Jalousie geöffnet werden. Ihr perverses Ritual würde beginnen.
    Doch dem war nicht so.
    Charlaine hörte das leise Surren und wusste gleichzeitig, was es bedeutete. Freddys elektronisch gesteuertes Garagentor war in Bewegung gesetzt worden.
    Sie trat näher ans Fenster. Ein Automotor heulte auf, und dann holperte Freddys schrottreifer Honda aus der Garage. Das Sonnenlicht spiegelte sich in der Windschutzscheibe. Geblendet kniff sie kurz die Augen zu, hob schützend eine Hand gegen das grelle Licht.
    Der Wagen fuhr weiter, und der gleißende Widerschein erstarb. Sie konnte die Person am Steuer jetzt erkennen.
    Das war nicht Freddy.
    Eine Art Urinstinkt veranlasste Charlaine, sich automatisch zu ducken. Sie fiel auf die Knie und kroch zu Mikes Bademantel. Sie drückte den Frotteestoff an sich. Der Geruch – diese Mischung aus Mike und abgestandenem Rasierwasser – erschien ihr plötzlich seltsam beruhigend.
    Charlaine glitt zur Fensterseite.
    Mit dem Rücken zur Wand spähte sie

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