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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Spitzfindigkeiten fehlte die Zeit.
    Grace hatte die Telefonnummer der Kanzlei Burton und Crimstein noch im Kopf. Sie zückte ihr Handy und tippte die Zahlenkombination ein. Zwei Klingeltöne später bat sie mit Sandra Kovals Apparat verbunden zu werden. Sie war überrascht, als sich Sandra persönlich meldete.
    »Du hast mich angelogen.«
    Keine Antwort. Grace ging zum Wagen zurück.
    »Der Anruf hat neun Minuten gedauert. Du hast mit Jack gesprochen.«
    Wieder nur Stille.

    »Was ist los, Sandra?«
    »Keine Ahnung.«
    »Warum hat Jack dich angerufen?«
    »Ich lege jetzt auf. Bitte ruf mich nicht mehr an.«
    »Sandra?«
    »Hast du nicht gesagt, dass er sich inzwischen bei dir gemeldet hat?«
    »Ja.«
    »Willst du meinen Rat hören? Warte einfach, bis er wieder anruft.«
    »Ich will deinen Rat nicht, Sandra. Ich will wissen, worüber er mit dir gesprochen hat.«
    »Hör einfach auf damit.«
    »Womit?«
    »Telefonierst du von einem Handy aus?«
    »Ja.«
    »Wo bist du?«
    »An einer Tankstelle in Connecticut.«
    »Warum das denn?«
    »Jetzt hör mal, Sandra.« Die Verbindung war plötzlich gestört. Grace wartete, bis der Empfang wieder besser war. Sie tankte und griff nach der Quittung. »Du bist die letzte Person, mit der mein Mann vor seinem Verschwinden gesprochen hat. Was du abgestritten hast und was sich als Lüge herausgestellt hat. Und trotzdem weigerst du dich, mir zu sagen, worüber du mit ihm gesprochen hast. Weshalb also sollte ich ausgerechnet dich in meine Pläne einweihen?«
    »Gut argumentiert, Grace. Noch einen letzten Tipp, dann lege ich auf: Fahr nach Hause und kümmere dich um deine Kinder!«
    Dann war die Leitung tot. Grace saß mittlerweile wieder im Wagen. Sie drückte die Wahlwiederholungstaste und bat, mit Sandras Büro verbunden zu werden. Niemand meldete sich. Sie
versuchte es erneut. Das gleiche Spiel. Was jetzt? Sollte sie wieder persönlich dort aufkreuzen?
    Sie fuhr aus der Tankstelle. Zwei Meilen weiter sah Grace ein Schild mit der Aufschrift »SUNRISE – SENIORENSTIFT«. Grace war nicht sicher, was sie dort erwartete. Die Altersheime ihrer Jugend waren einstöckige Backsteingebäude gewesen, in denen alles der Zweckmäßigkeit untergeordnet war und die sie fatal an Grundschulen erinnert hatten. Das Leben hatte durchaus seine zynischen Seiten. Man begann und beendete es in einem dieser schlichten Backsteinbauten. Ein Leben wie im Kreisverkehr.
    Das Sunrise -Seniorenstift allerdings entpuppte sich als ein dreistöckiges Gebäude, das wie die Nachbildung eines Hotels aus viktorianischer Zeit aussah. Es besaß all die Türmchen und Veranden dieser architektonischen Stilepoche und war in der leuchtend gelben Farbe gehalten, die an Frauenbildnisse alter Meister erinnerte. Dahinter allerdings erstreckte sich ein hässlicher Aluminium-Anbau. Der Garten war in einem Maße gepflegt, dass alles eine Spur zu ordentlich, beinahe wie aus Plastik aussah. Der Ort sollte eine Heiterkeit ausstrahlen, die etwas übertrieben wirkte. Der Komplex erinnerte Grace an das Epcot Center in Disney World – also an eine Spaß-Reproduktion, die man nie mit dem Original verwechseln würde.
    Auf der Veranda am Eingang saß eine alte Frau in einem Schaukelstuhl. Sie las Zeitung. Sie wünschte Grace einen guten Morgen, was Grace erwiderte. Auch die Eingangshalle bemühte sich angestrengt um die Atmosphäre eines Hotels aus der guten alten Zeit. Die Wände zierten Ölgemälde in pompösen Rahmen, die aussahen, als stammten sie aus einem Kaufhaus-Ramschverkauf für 19.99 Dollar. Selbst wenn man niemals Renoirs »Mittagessen der Ruderer« oder Hoppers »Nachtfalken« gesehen hatte, war offensichtlich, dass es sich um berühmte Klassiker der Malerei handelte.
    In der Lobby herrschte überraschend reger Betrieb. Natürlich waren ältere Leute in den unterschiedlichsten Stadien des
Alterns zahlreich vertreten. Einige konnten ohne Hilfe gehen, andere schlurften, einige stützten sich auf Stöcke, andere auf Gehhilfen, und etliche fuhren in Rollstühlen. Viele schienen munter, andere schläfrig.
    Die Eingangshalle war sauber und hell, hatte jedoch den – Grace hasste sich für den Gedanken – typischen Alte-Leute-Geruch, das Aroma eines abgewetzten, muffigen Sofas. Überlagert wurde dieser mit etwas, das nach Kirschlimonade roch und Grace an die drei am Rückspiegel baumelnden Aromaspender in Funk-Taxis erinnerte. Leider gibt es Gerüche, die sich einfach nicht übertönen lassen.
    Die einzige junge Person im Raum –

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