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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Vitrine im Schlüsselschränkchenformat. Wie alles in diesem Haus war auch das passend und gruselig zugleich.
    Um in den dritten Stock zu gelangen, mussten sie den Lift nehmen, der über eine kodierte Schalttafel betätigt wurde. »Verhindert,
dass unsere Bewohner überallhin ausschwärmen«, erklärte Lindsey.
    Die dritte Etage war gemütlich, gut ausgestattet, mit reichlich Personal besetzt und Furcht einflößend. Die meisten Bewohner dämmerten in Rollstühlen vor sich hin wie welkende Blumen. Einige standen herum und traten von einem Bein auf das andere. Etliche führten Selbstgespräche. Alle hatten einen glasigen, leeren Blick.
    Lindsey ging den Korridor entlang voraus. Wenige Sekunden später sagte sie: »Bobby!«
    Bobby Dodd erhob sich vom Kartentisch. Adrett, war das erste Wort, das Grace bei seinem Anblick in den Sinn kam. Er sah frisch und sprühend aus. Er hatte fast schwarze faltige Haut wie ein Krokodil. Er war elegant gekleidet, trug ein Tweedjackett, Mokassins und eine breite rote Krawatte mit passendem Einstecktuch. Sein graues Haar war kurz geschnitten und glatt gekämmt. Selbst als Grace erklärte, dass sie wegen seines ermordeten Sohnes gekommen war, veränderte sich seine heitere Miene nicht. Sie suchte nach Anzeichen von Trauer und Verzweiflung wie feuchte Augen, ein Zittern in der Stimme, doch Bobby Dodd ließ sich nichts dergleichen anmerken. War es möglich, dass man Schicksalsschläge im Alter leichter wegsteckte, überlegte Grace. War es die Nähe des Unvermeidlichen, die den Menschen gegen Erschütterungen dieser Art immun werden ließ?
    Bobby Dodd wollte helfen, wusste jedoch nicht viel. Grace erkannte das sofort. Sein Sohn hatte ihn zwei Mal im Monat besucht. Bobs Sachen waren zusammengepackt und an ihn geschickt worden, doch er hatte die Sendung noch nicht geöffnet.
    »Das Paket haben wir eingelagert«, informierte Lindsey Grace.
    »Haben Sie was dagegen, wenn ich mir die Sachen mal ansehe ?«
    Bobby Dodd tätschelte ihr Knie. »Ganz und gar nicht, Kindchen.«

    »Wir müssten es Ihnen schicken«, sagte Lindsey. »Unser Lager ist außerhalb.«
    »Es ist sehr wichtig für mich.«
    »Ich kann es Ihnen per Express schicken. Dann haben Sie es morgen.«
    »Danke.«
    Lindsey ließ sie allein.
    »Mr. Dodd –«
    »Sagen Sie Bobby zu mir.«
    »Also, Bobby«, sagte Grace. »Wann hat Sie Ihr Sohn zum letzten Mal besucht?«
    »Drei Tage bevor er ermordet wurde.«
    Die Worte kamen schnell und spontan. Endlich sah sie ein Aufflackern von Gefühlen hinter der gelassenen Fassade.
    »War er irgendwie anders als sonst?«
    »Anders?«
    »Wirkte er zerstreut, unkonzentriert …«
    »Nein.« Dann: »Zumindest habe ich es nicht bemerkt.«
    »Worüber haben Sie gesprochen?«
    »Wir hatten uns nie viel zu sagen. Manchmal haben wir über seine Mutter geredet. Meistens haben wir nur ferngesehen. Wir haben hier Kabelfernsehen, wissen Sie.«
    »Hat Jillian ihn begleitet?«
    »Nein.«
    Das kam zu schnell. Seine Miene wurde verschlossen.
    »Hat sie Sie jemals besucht?«
    »Manchmal.«
    »Aber nicht das letzte Mal?«
    »Nein.«
    »Hat Sie das überrascht?«
    »Das? Nein, das « – er betonte das nachdrücklich – »hat mich nicht überrascht.«
    »Was dann?«

    Er sah weg und biss sich auf die Unterlippe. »Sie war nicht auf der Beerdigung.«
    Grace glaubte, sich verhört zu haben. Bobby Dodd nickte, als habe er ihre Gedanken erraten.
    »Ganz recht. Die eigene Ehefrau.«
    »Hatten die beiden Eheprobleme?«
    »Falls dem so war, hat Bobby es nie erwähnt.«
    »Hatten sie Kinder?«
    »Nein.« Er rückte seine Krawatte zurecht, und sein Blick schweifte kurz ab. »Warum interessiert Sie das alles, Mrs. Lawson ?«
    »Sagen Sie bitte Grace zu mir.«
    Er erwiderte nichts. Er sah sie aus weisen, traurigen Augen an. Vielleicht war die Antwort auf die Ungerührtheit alter Menschen einfacher: diese Augen hatten Schlimmes gesehen. Sie wollten nicht noch mehr sehen.
    »Mein Mann ist verschwunden«, antwortete Grace. »Ich glaube – ich weiß es nicht sicher – aber möglicherweise bestand eine Verbindung.«
    »Wie heißt Ihr Mann?«
    »Jack Lawson.«
    Er schüttelte den Kopf. Der Name sagte ihm nichts. Sie fragte ihn, ob er wisse, wie sie Jillian Dodd erreichen könne. Erneut nur Kopfschütteln. Sie gingen zum Lift. Bobby kannte den Code nicht. Daher wurden sie von einem Pfleger begleitet. Sie fuhren schweigend vom dritten in den ersten Stock.
    Als sie die Tür erreichten, dankte Grace ihm.
    »Ihr Mann«, begann

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