Kein böser Traum
funktioniert. Wie entwickeln Sie diese Bilder?«
»Wie ich schon gesagt hab. Ich lege den Film in die Maschine. Die macht den Rest. Ich stell nur das Format und die Zahl ein.«
»Zahl? Welche Zahl?«
»Na, Sie wissen schon. Die Anzahl der Abzüge von jedem Negativ … eins, zwei … je nach Wunsch.«
»Und die Abzüge kommen dann in einem Stapel raus?«
»So isses.«
Josh war jetzt entspannter, wähnte sich in sicherem Fahrwasser.
»Und Sie stecken die Bilder dann in einen Umschlag?«
»Richtig. In den Umschlag, den der Kunde bereits ausgefüllt hat. Dann lege ich die Umschläge in alphabetischer Reihenfolge ab. Das is alles.«
Scott Duncan sah Grace an. Sie sagte nichts. Er zückte seine Dienstmarke. »Wissen Sie, was diese Marke bedeutet?«
»Nein.«
»Sie bedeutet, dass ich für die Staatsanwaltschaft der Vereinigten Staaten arbeite. Sie bedeutet, dass ich Ihnen das Leben verdammt unangenehm machen kann, falls Sie mich ärgern. Kapiert?«
Josh sah plötzlich etwas verängstigt aus. Er brachte ein Nicken zustande.
»Ich frage Sie also noch einmal: Wissen Sie etwas über dieses Foto?«
»Nein. Das schwör ich.« Er sah sich um. »Ich muss jetzt wieder ins Labor zurück.«
Er stand auf. Grace vertrat ihm den Weg. »Warum sind Sie vorgestern früher aus dem Laden weggegangen?«
»Was is?«
»Ungefähr eine Stunde, nachdem ich meine Abzüge abgeholt hatte, bin ich zurückgekommen. Da waren Sie nicht mehr da. Und auch am nächsten Morgen nicht. Also. Was ist passiert?«
»War krank«, sagte er.
»Ach ja?«
»Ja.«
»Geht’s Ihnen jetzt wieder besser?«
»Schon.« Er wollte sich an ihr vorbeidrängen.
»Komisch«, fuhr Grace fort. »Der Geschäftsführer hat nämlich gesagt, Sie hätten einen Notfall in der Familie gehabt. Haben Sie ihm das erzählt?«
»Ich muss wieder an die Arbeit«, zischte er, und diesmal drängte er sich an ihr vorbei und stürmte aus dem Restaurant.
Beatrice Smith war nicht zu Hause.
Eric Wu brach ohne Probleme in ihr Haus ein. Er machte einen Rundgang. Niemand zu Hause. Ohne die Handschuhe auszuziehen, stellte er den Computer an. Ihre PIM-Software – das ist die Abkürzung für Personal Information Manager, eine Art Terminkalender – war von Time & Chaos. Er öffnete die Datei und ging ihren Terminkalender durch.
Beatrice Smith war zu Besuch bei ihrem Sohn, einem Arzt in San Diego. Sie kam erst in zwei Tagen zurück. Das rettete ihr das Leben. Wu dachte über die verschlungenen Wege des Schicksals nach. Er konnte nicht anders. Er überprüfte Beatrice Smith’ Terminkalender in den beiden zurückliegenden und den zwei kommenden Monaten. Keinerlei Reisen mit Übernachtungen waren verzeichnet. Zu jedem anderen Zeitpunkt, an dem er hätte kommen können, wäre Beatrice Smith’ Leben zu Ende gewesen. Wu sah die Dinge gern durch diese Brille, vergegenwärtigte sich gern, dass es die kleinen Dinge des Lebens waren, das Unbewusste, die Dinge, die wir weder wissen noch kontrollieren können, die den
Ausschlag gaben. Man konnte es Schicksal, Glück, Zufall oder Gott nennen. Wu fand es faszinierend.
Beatrice Smith hatte eine Doppelgarage. Ihr brauner Landrover stand auf der rechten Seite. Der linke Platz war frei. Auf dem Beton zeichnete sich ein Ölfleck ab. Wu nahm an, dass dort Maurys Wagen gestanden hatte. Beatrice ließ ihn jetzt offenbar stets frei – Wu musste dabei an Freddy Sykes’ Mutter denken – wie eine Seite des Ehebettes. Wu parkte den Ford Windstar eben dort. Er öffnete den Kofferraum. Jack Lawson sah mitgenommen aus. Er nahm ihm die Fußfesseln ab, damit er gehen konnte. Die Hände ließ er an den Gelenken gefesselt. Wu führte den Mann ins Haus. Jack Lawson stürzte zwei Mal. Die Blutzufuhr zu seinen Beinen war noch gestört. Wu hielt ihn am Hemdkragen aufrecht.
»Ich nehme Ihnen den Knebel ab«, sagte Wu.
Jack Lawson nickte. Wu sah es an Lawsons Augen. Der Widerstand des Mannes war gebrochen. Wu hatte ihn nicht übermäßig verletzt – jedenfalls noch nicht –, aber wenn jemand lange genug allein mit seinen Gedanken im Dunkeln gelegen hat, nimmt die Psyche Schaden. Das war in jedem Fall gefährlich. Der Schlüssel zur Heiterkeit, das wusste Wu, war Beschäftigung, war immer in Bewegung zu bleiben. Dann stellten sich Fragen nach Schuld oder Unschuld nicht. Man denkt nicht an Vergangenheit oder Träume, Freuden oder Enttäuschungen. Man sorgt sich nur noch ums Überleben. Verletzen oder verletzt werden. Töten oder getötet werden.
Wu nahm
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