Kein Engel so rein
Knete dafür hatte. Was für eine Ironie, nicht?«
»Was?«
»Ein Boney-Board mit diesem Totenkopf und den Knochen drauf und dieser Fall.«
Bosch nickte.
»Wie auch immer. Ich möchte alles, was Sie darüber rausfinden können, bis morgen haben.«
»Ähm, ich kann’s ja mal versuchen. Versprechen kann ich Ihnen …«
»Bis morgen, Antoine. Die Chefetage, wissen Sie noch? Ich melde mich morgen bei Ihnen.«
Jesper nickte.
»Dann lassen Sie mir aber wenigstens noch den Vormittag Zeit.«
»Meinetwegen. Irgendwas Neues über den Brief?«
Jesper schüttelte den Kopf.
»Bisher nicht. Sie haben es mit Farben versucht, hat aber nichts gebracht. Von dieser Seite sollten Sie sich, glaube ich, lieber nicht zu viel versprechen, Harry.«
»Okay, Antoine.«
Bosch wandte sich zum Gehen und ließ ihn mit der Schachtel in den Händen zurück.
Zurück nach Hollywood fuhr Edgar. Bosch holte die Liste mit den telefonischen Hinweisen heraus und rief mit dem Handy Sheila Delacroix an. Sie meldete sich sofort. Bosch stellte sich vor und sagte, ihr Anruf sei an ihn weitergeleitet worden.
»War es Arthur?«, fragte sie sofort.
»Das wissen wir nicht, Ma’am. Aus diesem Grund rufe ich an.«
»Ach so.«
»Könnten mein Partner und ich morgen früh bei Ihnen vorbeikommen, um mit Ihnen über Arthur zu sprechen? Auf diese Weise können wir leichter feststellen, ob es sich bei den sterblichen Überresten um die Ihres Bruders handelt.«
»Verstehe. Äh, ja. Wenn es Ihnen keine Umstände macht, können Sie gern hierher kommen.«
»Wo ist hierher, Ma’am?«
»Ach so. In mein Haus. In der Miracle Mile, nicht weit vom Wilshire Boulevard.«
Bosch sah auf die Adresse auf der Liste der Anrufer.
»In der Orange Grove.«
»Ja, richtig.«
»Wäre Ihnen halb neun zu früh?«
»Nein, völlig in Ordnung, Officer. Ich würde Ihnen gern helfen, wenn es irgendwie möglich ist. Ich finde es einfach nur ungeheuerlich, dass dieser Mann die ganze Zeit dort gelebt hat, nachdem er so etwas getan hat. Selbst wenn das Opfer nicht mein Bruder ist.«
Bosch fand es nicht der Mühe wert, ihr zu sagen, dass Trent, was den Knochenfall anging, wahrscheinlich vollkommen unschuldig war. Es gab zu viele Leute, die alles glaubten, was sie im Fernsehen sahen.
Stattdessen gab Bosch ihr seine Handynummer und sagte, sie solle ihn anrufen, wenn etwas dazwischenkäme und sie den Termin nicht einhalten könnte.
»Es wird nichts dazwischenkommen«, sagte sie. »Ich will helfen. Wenn es Arthur ist, möchte ich es wissen. Halb hoffe ich, er ist es, damit ich endlich einen Schlussstrich unter die Sache ziehen kann. Aber zugleich hoffe ich auch, dass es jemand an ders ist. Damit ich weiter denken kann, er ist noch am Leben – und hat inzwischen vielleicht sogar eine eigene Familie.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte Bosch. »Dann bis morgen früh.«
22
Die Fahrt nach Venice war eine einzige Katastrophe, und Bosch brauchte über eine halbe Stunde länger als geplant. Zusätzlich trug zu seiner Verspätung die erfolglose Suche nach einem Parkplatz bei, weshalb er schließlich aufgab und wieder auf den Bibliotheksparkplatz fuhr. Julia Brasher machte es nichts aus, dass er zu spät kam. Sie befand sich in der Küche gerade in der kritischen Endphase und bat ihn, etwas Musik aufzulegen und sich aus der Flasche Wein, die bereits offen auf dem Couchtisch stand, ein Glas einzuschenken. Sie machte keine Anstalten, ihn zu berühren oder zu küssen, aber ihr Verhalten war sehr herzlich. Er fand, es sah nicht schlecht aus, und vielleicht hatte er die Klippe vom Abend zuvor noch mal umschifft.
Er suchte eine CD mit einer Live-Aufnahme des Bill-Evans-Trio aus dem Village Vanguard in New York aus. Er hatte sie selbst zu Hause und wusste, dass sie als ruhige Begleitmusik zum Essen gut geeignet war. Er schenkte sich ein Glas Rotwein ein und spazierte durchs Wohnzimmer, um sich die Dinge anzusehen, die sie dort ausgestellt hatte.
Das Sims des weißen gemauerten Kamins stand voll mit kleinen gerahmten Fotos, die anzusehen er am Abend zuvor keine Gelegenheit gefunden hatte. Einige waren leicht erhöht aufgestellt und deutlich von den anderen abgehoben. Nicht auf allen waren Menschen abgebildet. Einige Fotos waren von Orten, die sie, nahm er an, auf ihren Reisen besucht hatte. Da war zum Beispiel eine Aufnahme eines rauchenden Vulkans, der glühende Gesteinsbrocken in die Luft schleuderte. Auf einem Unterwasserfoto war das weit aufgerissene, zahnbewehrte Maul eines Hais zu
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