Kein Entkommen
draußen war, würden sie zusammen nach Boston fahren, die Ware aus den Schließfächern holen und an den Meistbietenden verkaufen.
Sie würde verdammt lange warten müssen, aber manche Dinge waren es nun mal wert. Zum Beispiel die Aussicht, für den Rest seines Lebens am Strand liegen zu können und sich höchstens noch um ein paar Sandkörner im Bikinihöschen Sorgen machen zu müssen. So ähnlich hatte es sich auch Matty Walker in Eine heißkalte Frau erträumt.
Jede Menge Kohle. Das hatte sie sich schon immer gewünscht.
Und so war sie nach Promise Falls gekommen und in ein Apartment über einer Spielhölle gezogen. Anschließend hatte sie sich um einen Job gekümmert – und war auf dem Arbeitsamt diesem jungen Reporter über den Weg gelaufen.
David Harwood.
Er war ein echt netter Kerl, das musste sie zugeben. Sympathisch, gutaussehend. Trotzdem wollte sie nicht Teil seiner Story sein. Schließlich war sie nach Promise Falls gekommen, um abzutauchen. Wenn sie ihm ein Interview gab, würde er sie anschließend um ein Foto bitten.
Nein, danke.
Aber sie unterhielt sich kurz mit ihm, und ein paar Tage später hielt er plötzlich an der Bushaltestelle neben ihr, fragte, ob er sie irgendwohin mitnehmen könne. Als er sah, wo sie wohnte, machte er ein Riesentheater, hier könne sie nicht wohnen, es sei denn, sie habe eine Karriere als Crackdealerin oder Trickbetrügerin geplant.
Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin schon ein großes Mädchen, hatte sie erwidert. Und immerhin habe ich ja noch eine Wahl.
Als er später noch einmal mit einer Liste mit Mietangeboten vorbeisah, hätte sie beinahe Freudentränen vergossen. Aber sie weinte höchstens auf Kommando. Trotzdem, es war eine wirklich nette Geste. Von anderen Typen war sie das nicht gewohnt.
Sie erlaubte ihm, ihr beim Umzug zu helfen. Sie ließ sich von ihm zum Dinner ausführen.
Bald darauf ging sie mit ihm ins Bett.
Schon zwei Monate später hatte David ihr zwar nicht direkt einen Heiratsantrag gemacht, aber doch wie nebenbei fallen lassen, dass eine gemeinsame Zukunft vielleicht nicht das Schlechteste wäre.
Jan hatte sofort die Gelegenheit gewittert. Und David signalisiert, dass sie durchaus offen für seinen Vorschlag war.
Als verheiratete Frau war sie auf der absolut sicheren Seite; so würde sie garantiert niemand mehr aufspüren, in tausend Jahren nicht. Sie würde die treusorgende Ehefrau für David spielen, ein paar heiße Extras inbegriffen, die andere Gattinnen wohl kaum zu bieten hatten.
Wenn das kein Zukunftsmodell war: die perfekte Hausfrau mit perfekt ödem Job, die in einem hübsch öden Häuschen lebte. Als Frau eines Kleinstadtreporters lief sie keinerlei Gefahr, als Diamantendiebin enttarnt zu werden.
Und sie hatte recht behalten. Trotzdem war das erste Jahr die Hölle gewesen. Jedes Mal, wenn jemand klingelte, blieb ihr fast das Herz stehen, doch es war jedes Mal nur der Stromableser, ein Spendensammler oder der Nachbar, der Bescheid geben wollte, dass sie die Garagentür offen gelassen hatten.
Der Kurier tauchte nie auf.
Und so begann sie sich nach einem Jahr langsam zu entspannen. Connie Tattinger war Geschichte. Lang lebe Jan Harwood.
Zumindest, bis Dwayne aus dem Knast war.
Es war wie Theaterspielen. Und mit ihrer neuen Rolle wurde sie locker fertig. Hatte sie nicht ihr Leben lang Rollen gespielt? War es nicht immer ihr Wunsch gewesen, eine andere zu sein, auch wenn sie damit nur sich selbst verarschen konnte?
Ja, schon ihre Kindheit war so verlaufen. Ansonsten hätte sie ihr Leben auch nicht ertragen. Ihren Vater, der ihr pausenlos in den Ohren lag, dass sie sein Leben zerstört hätte, und ihre ewig betrunkene Mutter, die zu schwach war, um sie gegenüber ihrem Erzeuger zu verteidigen.
Sie hatte das getan, was viele Kinder tun. Sie hatte eine imaginäre Freundin erfunden. In ihrem Fall war es allerdings ein wenig anders. Sie führte keine Gespräche mit jemandem, den es nicht gab. In ihrem Kopf verwandelte sie sich in Estelle Winters, die altkluge Tochter der Broadway-Stars Malcolm und Edwina Winters. Ihre wahre Heimat war New York. Bei diesem frustrierten, übellaunigen Kerl und seiner besoffenen Frau hielt sie sich nur vorübergehend auf, um für ihre nächste Rolle zu recherchieren. Sie war nicht das Kind dieser Leute. Wie auch? Sie war etwas viel zu Besonderes, um die Tochter dieser ordinären, grässlichen Menschen zu sein.
Natürlich war ihr die Wahrheit bewusst. Doch ihr geheimes Leben half ihr, den ganzen
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