Kein Entkommen
konnte.
Doch obwohl er kein Problem damit hatte, anderen Schmerzen zuzufügen, konnte er ironischerweise kein Blut sehen. Tja, auch Dumpfbacken konnten komplexe Persönlichkeiten sein.
»Wie heißt dieser Typ eigentlich?«
»Banura«, antwortete er. »Cool, was? Ein Schwarzer, aber so richtig kohlrabenschwarz. Ich glaube, er kommt aus der Sierra, von der du gerade geredet hast.«
»Und wie kontaktieren wir ihn?«
»Ich habe seine Nummer. Er wohnt im Süden von Boston. Braintree heißt der Ort.«
»Weiß er, dass wir die Sache morgen abwickeln wollen?«
»Ich habe nichts Genaues mit ihm vereinbart. Aber das lässt sich ja noch machen.«
»Und zwar so schnell wie möglich«, sagte sie. »Er braucht bestimmt ein paar Stunden, um die Kohle aufzutreiben.«
»Stimmt«, meinte Dwayne.
Verdammt, dachte sie. Sie wollte sich unter keinen Umständen länger als nötig in Boston aufhalten. Die Ware holen, die Kohle kassieren, und dann nichts wie weg.
Sie fuhren vom Highway ab und zur nächsten Tankstelle. Während Dwayne den Pick-up auftankte, betrat Jan den Laden. Sie stand gerade vor einem Drehständer mit Sonnenbrillen, als ihr die stämmige Frau neben ihr ins Auge fiel. Die Frau beugte sich vor und zischte ihre Tochter an, endlich mit dem Plärren aufzuhören, und schwang sich dabei die Handtasche über die Schulter, dass sie auf ihrem massigen Rücken landete.
Die Handtasche war offen. Jan blickte direkt auf die Geldbörse der fetten Kuh.
Aber die paar Scheine, die sich darin befinden mochten, interessierten sie nicht. Sie hatten genug Bargeld, um bis nach Boston zu kommen, und sobald der Deal unter Dach und Fach war, würde sie mehr Kohle besitzen, als sie jemals ausgeben konnte.
Aber das Handy der Frau konnten sie gut gebrauchen.
In einer einzigen fließenden Bewegung beugte sie sich in Richtung der fetten Kuh und nahm mit der Rechten zwei in Plastik eingeschweißte Muffins aus dem Regal vor ihnen, während sie die Linke in die Handtasche gleiten ließ, das schmale Handy herauspflückte und in ihrer Jeans verschwinden ließ.
Dann ging sie mit den Muffins zur Kasse – Ethan liebte diese Sorte mit Schokoguss –, ehe sie wieder nach draußen marschierte. Dwayne hatte aufgetankt und wartete neben dem Pick-up. Sie warf die Muffins durch das offene Fenster aufs Armaturenbrett, stieg ein und drückte ihm das Handy in die Hand, als er sich hinters Steuer gesetzt hatte.
»Jetzt kannst du anrufen«, sagte sie.
***
Sie griff nach den Muffins und stellte fest, dass die Schokolade geschmolzen war und am Zellophan klebte.
Es gelang ihr, den ersten Muffin relativ unbeschadet aus der Verpackung zu pfriemeln. Sie reichte ihn Dwayne, der sich den Minikuchen im Ganzen in den Mund stopfte.
Der zweite war nur noch eine Ruine. Im selben Augenblick erinnerte sie sich, wie Ethan an einem ähnlich brütend heißen Tag eine Doppelpackung Muffins aufgerissen und ihr sein Händchen vom Rücksitz entgegengestreckt hatte.
Schau mal, Mommy. Ich hab lauter Schokofinger.
Dwayne klappte das Handy zu. »Okay, morgen steigt die Sache. Ich habe ihm gesagt, dass wir so gegen Mittag da sind, vielleicht auch ein paar Minuten früher. Die Bank macht um halb zehn auf. Wir räumen unsere Schließfächer aus, und dann geht’s los. Na, wie klingt das, Süße?«
Jan wandte den Blick ab. »Gut.«
»Was ist los, Babe? Alles in Ordnung mit dir?«
»Bestens. Fahr einfach weiter, okay?«
32
Oscar Fine hatte seinen schwarzen Audi A4 an der Hancock Street geparkt. Von hier aus konnte er das State House sehen, wenn auch nicht dessen goldene Kuppel, da er sich zu weit unten an der Straße befand.
Beacon Hill gefiel ihm. Ein tolles Viertel mit seinen schmalen Pflasterstraßen, den schönen alten Ziegelhäusern mit den überbordenden Blumenkästen, dem Hauch von Geschichte, der alles umgab. Hübsch auch die eisernen Fußabstreifer vor den Haustüren, auch wenn die Zeiten von Matsch und Dreck lange vorbei waren. Trotzdem liefen ihm hier zu viele Leute herum. Auch die nachbarliche Dichte war ihm ein Gräuel. Oscar Fine hatte lieber seine Ruhe.
Dennoch kam er gern in diese Gegend, wenn ihn seine Arbeit hierher führte.
Er beobachtete gerade ein Haus auf der linken Straßenseite. Es war früher Abend. Um diese Uhrzeit pflegte Miles Cooper von der Arbeit nach Hause zu kommen. Seine Frau Patricia, Krankenschwester im Massachusetts General Hospital, hatte Spätschicht und eine Stunde zuvor das Haus verlassen. Normalerweise ging sie zu Fuß zur
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