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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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wären wir«, sagte er.
    Ich blickte in das dreckverkrustete Gesicht einer toten Frau. Im selben Augenblick gaben meine Beine nach. Ich fiel auf die Knie und wäre der Länge nach zu Boden gegangen, hätte ich meinen Sturz nicht im letzten Moment mit ausgestreckten Armen abgefangen.
    »O Gott«, stieß ich hervor. »O Gott.«
    Duckworth ging neben mir in die Hocke und berührte mich an der Schulter. »Mr Harwood?«
    »Das ist sie nicht«, flüsterte ich. »Das ist nicht Jan.«
    »Sind Sie ganz sicher?«, fragte er.
    »Es ist Leanne«, stammelte ich. »Leanne Kowalski.«

31
    Es fiel ihr schwer, sich an ihren neuen Namen zu gewöhnen. Kate. Vielleicht brauchte sie noch ein paar Tage, bis er wie ihr eigener klang. Sie hatte einfach Leannes zweiten Vornamen abgekürzt; der erste Gedanke, der ihr gekommen war.
    Seltsam, doch mittlerweile schien ihr selbst ihr wirklicher Name nicht mehr zu gehören. Hätte jemand hinter ihr plötzlich »Connie« gerufen, hätte sie sich wahrscheinlich nicht einmal umgedreht. Es war Ewigkeiten her, dass sie jemand Connie genannt hatte.
    Sie machte sich nur Sorgen, dass sie sich womöglich reflexartig umdrehen würde, wenn jemand »Jan« rief.
    In ihren Gedanken war sie immer noch Jan. Sechs Jahre lang hatte sie mit diesem Namen gelebt, und irgendwann war sie tatsächlich Jan gewesen.
    Oder »Mom«.
    Ihre Worte zu Dwayne, dass Jan nun Geschichte war, hatte sie eigentlich mehr an sich selbst gerichtet – ein verzweifelter Versuch, die Vergangenheit endgültig ad acta zu legen, die wirkliche Jan zu vergessen, sie zur letzten Ruhe zu betten.
    Doch war es gar nicht so einfach. Ein großer Teil von ihr war nach wie vor Jan. Auch wenn sie nun ein neues Leben anfing. So war es immer gewesen, und nun begann wieder ein neuer Abschnitt. Nur dass man über manche Abschnitte nicht so schnell hinwegkam.
    Einmal mehr rückte sie ihre Perücke zurecht, während Dwayne den Pick-up weiter Richtung Boston lenkte.
    Im Five Mountains hatte Jan dieselbe Perücke getragen. Als Blondine war sie an den Kassen vorbeigegangen, hatte anschließend die nächste Toilette aufgesucht, die Perücke wieder abgenommen und in den Rucksack gesteckt, in dem sich auch ihre neuen Klamotten befanden. Als David losgerannt war, um nach Ethan zu suchen, hatte sie erneut die Toilette aufgesucht, sich in einer Kabine eingeschlossen und ihre Sachen gewechselt.
    Kurz darauf trug sie statt Shorts und ärmellosem T-Shirt eine neue Jeans und eine langärmlige Bluse; die Sportschuhe hatte sie durch ein Paar modischer Sandalen ersetzt. Doch erst die blonde Perücke hatte sie quasi unsichtbar gemacht. Sie stopfte ihre Sachen in den Rucksack – die Cops durften sie auf keinen Fall finden – und spazierte aus der Damentoilette, als könne sie kein Wässerchen trüben. Absolut cool. Sie hatte den Park wieder verlassen und sich mit Dwayne auf dem Parkplatz getroffen. Am liebsten hätte er sich den falschen Bart sofort vom Gesicht gerissen, doch konnte sie ihn überreden, ihn wenigstens so lange zu tragen, bis sie das Parkgelände verlassen hatten.
    Um Ethan machte sie sich keine Sorgen. Sie wusste, dass David ihn finden würde, und wenn nicht er, dann jemand anders. Alles kein Problem. Die Entführungsnummer war lediglich ein kleines Ablenkungsmanöver, um Davids Story noch unglaubwürdiger erscheinen zu lassen.
    Bevor sie losgefahren waren, hatte sie eine kleine Dosis Schlafmittel in seinen Saft gerührt; er sollte so wenig wie möglich mitbekommen. Sicher, in den kommenden Wochen und Monaten würden reichlich Tränen fließen, aber so blieb ihm wenigstens das Trauma einer Entführung erspart.
    Es war das Mindeste, was eine Mutter tun konnte.
    Mutter zu werden, war nie vorgesehen gewesen. Ebenso wie eine Ehe.
    Die Entscheidung für Promise Falls war mehr oder weniger zufällig gefallen. Sie hatte den Ort auf einer Karte entdeckt und sich im Internet näher angesehen. Ein nettes Universitätsstädtchen im Norden von New York. Ruhig. Anonym. Nicht gerade ein Ort, an dem jemand untertauchen würde. Wer wirklich verschwinden wollte, flüchtete nach New York, nach Buffalo, Los Angeles, Miami – Metropolen, in denen man in den Menschenmassen unterging.
    In Promise Falls würde sie niemand suchen.
    Nichts verband sie mit dem Städtchen. Sie hatte weder Verwandte noch Freunde dort. Genauso gut konnte der Kurier sie in Tacoma, Washington, vermuten.
    Sie konnte sich dort einen Job suchen und warten, bis Dwayne entlassen wurde. Und wenn er wieder

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