Kein Entkommen
den Park verlassen hatten und Promise Falls bereits Dutzende von Meilen hinter ihnen lag.
Hätte Dwayne sich doch bloß für eine andere Tankstelle entschieden. Der Tank war nicht mal leer gewesen. Sie hätten locker noch siebzig, achtzig Meilen fahren können, doch er wollte unbedingt volltanken. Reine Psychologie, meinte er.
Und so war er hinter Albany vom Highway abgefahren und hatte eine Tankstelle in der Nähe eines weithin sichtbaren Einkaufszentrums angesteuert. Sie hatte zu spät gemerkt, wer an der Zapfsäule neben ihnen stand.
»Jan?«, hatte Leanne Kowalski gesagt. »Bist du das, Jan?«
***
Als wüsste er, was gerade in ihr vorging, sagte Dwayne: »Wir liegen gut in der Zeit. Nicht mehr weit bis Boston.«
»Prima«, erwiderte sie. Doch je näher sie Boston kamen, desto nervöser wurde sie. Einmal mehr sagte sie sich, dass ihre Befürchtungen völlig irrational waren. Boston war eine Riesenstadt. Seit sechs Jahren war sie nicht mehr dort gewesen. Höchst unwahrscheinlich, dass sie dort jemand erkennen würde. Außerdem hatten sie und Dwayne bestimmt nicht vor, sich dort länger aufzuhalten.
»Mal ’ne Frage«, sagte Dwayne. »Hast du ein schlechtes Gewissen?«
»Das ist ja wohl normal, wenn man seinen Sohn im Stich lässt«, gab sie zurück.
»Ich meine den Typ, den du geheiratet hast. Das arme Schwein hast du ganz schön hingehängt.«
»Gut, dass die Bullen glauben, ich sei tot«, entgegnete sie. »Oder wär’s dir lieber, wenn sie uns überall suchen würden?«
»Ich sage ja nicht, du hättest irgendwas falsch gemacht. Ganz im Gegenteil, die Nummer mit der Depression war Weltklasse. Du hast sie auf die falsche Fährte geführt, alle miteinander. Aber du hast mit dem Typ zusammengelebt, und das nicht bloß ein paar Tage. Ich meine, wie hast du das hingekriegt? Ist doch bestimmt nicht so leicht, jemandem die süße Ehefrau vorzuspielen, wenn’s einem nicht selbst gefällt, oder?«
Jan musterte ihn von der Seite. »War keine große Sache.« Sie wandte den Blick ab und sah wieder aus dem Fenster, durch das heiße Luft hereinwehte.
»Du hast es voll drauf«, sagte Dwayne bewundernd. »Und an deiner Stelle würde ich mich auch nicht mit einem schlechten Gewissen herumschlagen – so was stört doch bloß, wenn man ein neues Leben anfangen will. Ich stelle mir bloß vor, wie dem Typ die Klappe herunterfällt, wenn er rausfindet, was du dem Burschen in dem Laden erzählt hast. Wenn er spitzkriegt, dass du nie bei dem Arzt warst. Der dreht voll am Rad, das garantiere ich dir.«
»Lass uns über was anderes reden«, sagte sie.
»Worüber denn?«
»Wann hast du zuletzt mit dem Typ geredet, der uns die Ware abkaufen will?«
»Am Tag nach meiner Entlassung«, sagte Dwayne. »Ich wähle seine Nummer, sage: ›Hey, du kommst nie drauf, wer dran ist.‹ Und er kann’s echt nicht glauben, du weißt ja selber, wie lange es her ist, dass wir den Deal machen wollten, bevor ich in den Knast gegangen bin. Egal, jedenfalls sage ich: ›Hey, ich bin wieder am Start, und wenn du willst, kannst du die Ware immer noch haben.‹ Er war echt geplättet, dachte wohl, ich sei tot oder so. Aber nebenbei habe ich noch was Interessantes von ihm erfahren. Die Sache ist nämlich nie in die Nachrichten gekommen. Er meinte, er hätte was über einen Typ gelesen, dem die Hand abgesägt worden war, aber von den geklauten Diamanten war anscheinend nirgendwo die Rede.«
»Ist ja wohl auch kein Wunder«, sagte Jan.
»Wieso?«
»Weil niemand illegale Diamanten als gestohlen melden würde«, sagte sie. »Seit Diamanten mit Herkunftszertifikaten ausgegeben werden, gibt es offiziell keine illegalen mehr. Das ist so, seit verschiedene Bürgerkriege in Afrika mit illegal geschürften Diamanten finanziert wurden, in Sierra Leone und …«
»Die Wüste Sierra?«, fragte Dwayne.
»Die heißt Sahara.«
»Ach so. Okay.«
»Wie auch immer, trotz der Zertifikate gibt es immer noch einen Riesenmarkt für illegale Diamanten, und die Typen, die mit ihnen Handel betreiben, würden nie im Leben zur Polizei gehen. Al-Qaida hat Millionen mit illegalen Diamanten gemacht.«
»Echt?«
»Aber hallo.« Sie hielt die Hand aus dem Fenster und ließ den Fahrtwind durch ihre Finger strömen.
Dwayne grinste. »Dann haben wir ja sozusagen im Kampf gegen den Terrorismus mitgeholfen.«
Jan sah weiter aus dem Fenster. Vorsicht, dachte sie. Darüber, dass er dumm wie Bohnenstroh war, vergaß man allzu schnell, wie brandgefährlich er sein
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