Kein Entkommen
Wahnsinn zu überstehen – bis zu dem Tag, als sie die Haustür hinter sich zuwarf und nie mehr zurückkehrte.
Erst dann hatte sie ihre imaginäre Gefährtin sterben lassen.
Danach war sie tatsächlich eine Zeitlang Connie Tattinger gewesen. Auch unter ihrem wirklichen Namen konnte sie eine Menge Rollen spielen. Mal das gute, mal das böse Mädchen, mal die wohlerzogene Tochter, mal die haltlose Schlampe. Je nachdem, was die jeweilige Situation erforderte.
Auf der Straße war die Böse-Mädchen-Nummer weniger eine Rolle als vielmehr eine Überlebenstaktik. Man tat einfach, was man tun musste, um ein Dach über dem Kopf oder etwas zu essen zu bekommen.
Und wenn man bei einem Vorstellungsgespräch für einen halbwegs erträglichen Job das nette Mädchen von nebenan spielen musste, kein Problem. Sie konnte sich im Handumdrehen in die Unschuld vom Lande verwandeln.
Entsprechend leicht war es ihr gefallen, die Rolle einer Kleinstadt-Ehefrau zu übernehmen. Tatsächlich machte es ihr sogar Spaß. Sie würde die Sache durchziehen … und wenn es an der Zeit war, die Koffer zu packen, würde sie sich auf ihr nächstes Leben einstellen.
Nur mit einer Kleinigkeit hatte sie nicht gerechnet. Dem Baby. Das war definitiv nicht Teil des Plans gewesen.
Sie waren noch nicht lange verheiratet gewesen. Und irgendwie hatte sie geahnt, dass sie schwanger war. Sie konnte es nicht fassen, als sie eines Morgens im Badezimmer saß, nachdem David das Haus verlassen hatte. Kurz zuvor hatte sie den Test gemacht, zehn Minuten abgewartet und … Oh, Scheiße .
Und dann hatte er auch noch irgendwelche Notizen vergessen. Jedenfalls war er plötzlich wieder aufgetaucht, hatte plötzlich vor ihr gestanden. Sie hatte sich absolut nichts anmerken lassen – eine brillante Vorstellung, keine Frage –, doch dann hatte er die Verpackung des Schwangerschaftstests entdeckt. Sie hatte gar nicht erst versucht, zu leugnen.
Ist doch toll, hatte er gesagt. Oh, Jan, du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue.
Während sie einen kühlen Kopf zu wahren versuchte. Ein Kind würde sie noch mehr mit ihrer Rolle verschmelzen lassen. Sie quasi unsichtbar machen. Und da David das Kind unbedingt wollte, würde ihre junge Ehe – die perfekte Tarnung – bei einem Schwangerschaftsabbruch womöglich schneller den Bach heruntergehen, als ihr lieb sein konnte. Und bislang führten sie eine ausgesprochen gute Ehe.
Ja, war es nicht bloß eine weitere Rolle, künftig die liebende Mutter zu spielen? Die vielleicht größte Herausforderung ihrer Karriere? Sie würde auch diese Geschichte schaukeln, genauso wie alle anderen zuvor.
Nachdem sie sich zu dieser Einsicht durchgerungen hatte, wollte sie das Kind haben. Sie wollte diese Erfahrung machen. Sie blendete die Zukunft völlig aus, überlegte nicht, was sie tun würde, wenn Dwayne wieder draußen war. Wie alle großen Schauspielerinnen ging sie ganz im Augenblick, in ihrer Rolle auf.
Doch nun war Dwayne wieder draußen. Und an ihrem Plan hatte sich nichts geändert. Sie wollte das Geld, und wenn sie es erst hatten, würde sie ihre letzte Rolle ins Auge fassen. Die einer unabhängigen Frau. Einer Frau, die auf nichts und niemanden mehr angewiesen war. Einer Frau, die endlich sie selbst sein konnte.
Der Strand und unendlich viele Piña Coladas warteten auf sie. Schluss mit David. Und Dwayne würde sie ebenso abservieren.
Es gab nur ein Problem.
Ethan.
Sie hatte sich wirklich in die Mutterrolle gestürzt. Ihr Bestes gegeben. Nur eins hatte sie nicht vorausgesehen: wie schwierig es sein würde, sich von dieser Rolle zu verabschieden.
***
Jan wusste, dass die Sache im Five Mountains nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war.
Doch hatte sie den Vergnügungspark ein paarmal aufgesucht und gecheckt, wo sich die Überwachungskameras befanden. Es bestand die minimale Chance, zufällig irgendwelchen Bekannten über den Weg zu laufen, aber zum einen würde sie sich dort nicht lange aufhalten, und zum anderen würde sie niemand mehr erkennen, sobald sie sich auf der Toilette mit Perücke und anderen Sachen ausstaffiert hatte.
Und sollte sie wider Erwarten doch von jemandem gesehen werden – einem Freund, einem Nachbarn, jemandem von Bertrams Kunden –, würden sie die Sache abblasen. Wenn ich nicht komme, hatte sie Dwayne gesagt, müssen wir das Ganze auf ein andermal verschieben.
Aber alles lief glatt. Absolut glatt.
Nur mit einem hatte sie nicht gerechnet. Dass sie jemand erkennen würde, nachdem sie
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