Kein Entrinnen
Schweigen hüllte, sein Versteck zu verlassen. Im Rückwärtsgang setzte er auf dem Feldweg zurück.
Allerdings traf er auch auf dem Asphalt keine Anstalten, wieder in den ersten Gang zu schalten und die normale Fahrtrichtung einzunehmen. Er fuhr vielmehr weiter rückwärts und verrenkte sich dabei halb den Hals, um aus dem Heckfenster des BMW zu schauen.
Er drehte den Motor hoch.
»Aber was machst du da? Was soll das?«, schrie Mary hektisch.
»Ich fahre auf die Autobahn zurück«, erklärte Frank kalt.
»Aber …!«
»Mach die Augen zu. Es geht schon.«
Mary vergrub das Gesicht in den Händen und murmelte den Umständen entsprechende Verwünschungen. Frank umklammerte mit blutleeren Händen das Lenkrad.
Kaum überraschend kam auf der Auffahrt ein Lieferwagen direkt auf ihn zu. Er blendete voll auf. Frank beschloss, keinen Zentimeter von seinem Kurs abzuweichen. Er überließ es dem Lieferwagen, ein Schleudermanöver zu vollbringen. Der arme Fahrer riss sein Steuer unwillkürlich ein wenig zu stark herum und fand sich nach einer vollständigen Drehung um die eigene Achse auf dem Grünstreifen wieder. Das Ganze lief ab wie ein schweigender Tanz, nicht einmal kreischende Reifen oder lautes Hupen waren zu hören. Alles erfolgte viel zu schnell.
Noch ein paar Sekunden des Wahnsinns, dann hielt Frank den Wagen an und schaltete in den Vorwärtsgang.
Sie waren wieder auf der Interstate 93.
Das Auto rollte so friedlich im Verkehrsfluss dahin, dass man hätte glauben können, es sei nichts passiert.
Der Professor fixierte mit unbewegter Miene die Straße, ohne eine Spur von Zittern oder Schweißtropfen auf der Stirn. Mary öffnete langsam die Hände und hob den Kopf. Bleich und mit angehaltenem Atem.
»Sind wir tot?«
»Nein, wir haben unsere Ruhe.«
12
Kurze Zeit später verließ er die Interstate 93 in Richtung Goffstown und erreichte Manchester so von Westen her. Auf einer der ruhigsten Zufahrtsstraßen. Um so eventuelle Maßnahmen, die auf der Autobahn gegen ihn getroffen worden waren, zu durchkreuzen. Der BMW war identifiziert und seine Flucht vom FBI registriert, daran gab es keinen Zweifel. Er überquerte den Merrimack.
»Weißt du, wohin wir fahren?«, fragte seine noch immer geschockte Begleiterin.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, was ich suche. Das ist immerhin etwas.«
Dieses Etwas fand er an der Ecke Oak Street und Myrtle Street: das Montego Hotel. Ein kleines, schmuckloses Etablissement, das jedoch eine Parkgarage sein Eigen nannte. Das Auto, seine größte Sorge, wurde zwischen einem riesigen Geländewagen mit verchromten Felgen und dem verkohlten Gerippe eines Pontiac Grand Am versteckt.
Damit war das Viertel gewählt.
An der Fassade des Montego waren mehrere verschiedene Farbschichten sichtbar, an deren Reihenfolge sich der Werdegang des Hauses ablesen ließ. Verblichen waren sie alle. Das Hotel war zwar keine Absteige, aber es fehlte nicht viel.
An der Rezeption dagegen deutete alles auf einen kürzlich erfolgten Besitzerwechsel hin. Der Teppichboden war neu, Halogenstrahler hatten die Neonlampen der achtziger Jahre ersetzt, der muffige Geruch nach alten Kanapees und kaltem Rauch war verschwunden und die cremefarbenen Töne an der Wand gaben sich redliche Mühe, einem Haus, das eigentlich nichts weiter als ein Stundenhotel war, einen gewissen Chic zu verleihen.
Hinter einer Empfangstheke wartete ein alter Mann, der mit verlorenem Blick ins Leere sah. Das Auftauchen des Paars riss ihn aus seiner Geistesabwesenheit. Der Anblick dieser beiden Blondschöpfe, einer so schön wie der andere, hatte etwas Elektrisierendes. Ein Paar wie aus einem Hochglanzmagazin. Sie waren elegant, sie waren ordentlich, sie waren weiß.
Frank buchte für eine Nacht.
Das Zimmer im ersten Stock entsprach den Verheißungen der Fassade. Die Renovierungsarbeiten hatten eindeutig nur der Rezeption gegolten. Es war eine heruntergekommene Bruchbude!
»Romantisch, nicht?«, sagte er scherzend.
»Weißt du, das passt doch recht gut zu diesem Abend. Alles vollkommen unerwartet .«
Sie setzte sich aufs Bett und testete die Matratze.
»Und ein bisschen gefährlich«, fügte sie hinzu.
Er stellte sich neben sie. Dann erzählte er. Ohne Umschweife. Über Sheridans Unternehmungen, Boz und das FBI, den wahren Grund seiner Schulterschmerzen, das bevorstehende Treffen mit dem Schriftsteller. Mary hatte die Knie unters Kinn gezogen und kaute beim Zuhören methodisch an den Fingernägeln. Sie war wie gebannt.
Am Ende
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