Kein Erbarmen
Tür, um Sommerfeld zurückzurufen. Sommerfeld war ein Kollege von der Spurensicherung, Tabori hatte ihn am Tag zuvor von weitem in der Ausbildungsstätte gesehen. Er musste kurz vor der Pensionierung stehen, galt aber allgemein immer noch als der kompetenteste Beamte der Abteilung.
Tabori und Sommerfeld wechselten ein paar Sätze und verabredeten sich für den Abend, danach hatte Tabori es eilig, wieder zurück nach Hannover zu kommen. Hans Meier würde ohnehin nicht mehr erzählen, als er schon gesagt hatte, und weitere Pferde- oder Hundegeschichten interessierten Tabori im Moment nicht …
Jetzt saß er im »Voss« in der Liststadt in der Ecke neben dem Flipper und wartete auf Sommerfeld. Das »Voss« war eine Kneipe mit langer Geschichte, angeblich war es in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Treffpunkt der in der kommunistischen Partei organisierten Arbeiter aus dem nahe gelegenen Continental-Gummiwerk gewesen, sehr viel später war es zur Stammkneipe der Jusos geworden, auch Ex-Kanzler Schröder war ein viel gesehener Gast gewesen – die Spezialität im »Voss« waren bis heute die weit über den Tellerrand ragenden Currywürste mit Bergen von Pommes frites dazu.
Tabori mochte das »Voss« nicht wirklich, es war ihm zu laut und zu ungemütlich, außerdem meistens so brechendvoll, dass man Mühe hatte, überhaupt einen Platz zu finden. Und seit man zum Rauchen auf dem schmalen Gehweg vor der Tür stehen musste, hatte es ohnehin jeden Reiz für Tabori verloren. Aber Sommerfeld hatte den Treffpunkt vorgeschlagen, und Tabori war es zu umständlich gewesen, nach einer Alternative zu suchen. Obwohl er jetzt gerade dachte, dass ein ordentlich gezapftes Guinness in einer der irischen Kneipen in der Innenstadt zweifellos besser gewesen wäre, als das – nach seiner Meinung – immer leicht süßlich schmeckende Hannover-Bier, von dem böse Zungen ohnehin behaupteten, dass ein wesentlicher Bestandteil das Grundwasser des neben der Brauerei gelegenen Friedhofs war.
Sommerfeld kam mit leichter Verspätung. Er schwitzte stark und trug einen Fahrradhelm bei sich, »muss was für die Gesundheit tun«, sagte er zur Begrüßung und winkte gleichzeitig der Bedienung, bevor er sich erneut zu Tabori drehte. »Du zahlst, das sehe ich doch richtig, oder?«
Dass Sommerfeld kaum jemals ein Glas selbst bezahlte, war genauso bekannt wie die Tatsache, dass er gewaltige Mengen Bier vertragen konnte, ohne jemals betrunken zu werden. Und dass sein Bauchumfang mittlerweile noch zugenommen hatte, ließ darauf schließen, dass sich seine Gewohnheiten auch nicht verändert hatten. Tabori überlegte kurz, ob er eigentlich genügend Geld eingesteckt hatte.
Als die Bedienung mit Sommerfelds Bier kam und einen Strich auf dem Deckel machte, prosteten sie einander zu.
»Schön, dich mal wieder zu sehen«, grinste Sommerfeld und wischte sich den Schaum von den Lippen.
»Dito. Aber eins ist mir nicht ganz klar, du sagst, du hast irgendwas rausgefunden, aber wieso kommst du damit zumir? Mich gibt es offiziell gar nicht mehr, und das weißt du.«
Sommerfeld beugte sich vor.
»Ich habe keine Ahnung, was ihr da für eine Suppe zusammen kocht, du und Lepcke, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber Lepcke hat gesagt, wenn es was gibt, was sich nur auf den Tod dieser Anwärterin bezieht, soll ich dich informieren. Er hätte genug damit zu tun, den Mord an dem Ausbilder und die Entführung von gestern aufzuklären. So sieht es aus, jetzt weißt du es.«
»Wann? Wann hat er das gesagt?«
»Gestern. Ich hab ihn in der Ausbildungsstätte getroffen, gleich nachdem er dich vom Gelände komplimentiert hat. Das habe ich nämlich auch noch mitgekriegt, ihr wart ja laut genug. Aber wie gesagt, das interessiert mich nicht weiter, das ist eure Sache. Und weil es mir immer ein Vergnügen war, mit dir zu arbeiten, erzähle ich dir jetzt ganz inoffiziell beim Bier mal ein paar Sachen, die dich interessieren dürften.«
»Danke für das Kompliment«, sagte Tabori abwesend. »Gebe ich gern zurück …«
»Also, ich hab da vielleicht tatsächlich was für dich.«
Sommerfeld blickte sich kurz um, bevor er wieder zu seinem Glas griff und hastig zwei, drei lange Schlucke nahm, während er gleichzeitig mit einer Handbewegung zum Tresen hinüber das nächste Bier orderte. Bei den ersten Sätzen hörte Tabori nur halb hin, wie alle Wissenschaftler neigte auch Sommerfeld zu langwierigen Erklärungen, und Tabori war im Kopf noch mit der Information
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