Kein Erbarmen
lebt. Erbpacht. Ist auf den Namen seiner Frau eingetragen.«
Tabori grinste und hielt den Daumen hoch.
»Bedank dich bei Ulrike.« Lisa grinste zurück. »Ich hab nichts weiter gemacht. Ich hoffe nur, dass es ein bisschen besser läuft als heute.«
»Es war okay heute. Vergiss das mal mit Lepcke. Wir wissen jetzt zumindest, dass die Vorwürfe begründet waren. Warten wir ab, was dieser Hans Meier vielleicht noch zu erzählen hat.« Tabori schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich bin ganz froh, dass ich nicht in Lepckes Haut stecke. Durch diese Entführung jetzt ist das Ganze erst recht kompliziert geworden. Irgendwie ergibt das alles keinen Sinn …«
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Wobei Tabori wusste, dass Lisa den gleichen Gedanken nachhing wie er selbst. Wie lange mochten die Missstände in der Ausbildungsabteilung schon bestanden haben? Wie viele Anwärter waren womöglich schon seit Jahren immer wieder auf das Entsetzlichste gequält und erniedrigt worden? Wie unvorstellbar groß musste die Angst vor noch schlimmeren Repressalien gewesen sein, dass nie jemand den Versuch gemacht hatte, sich aufzulehnen?Sich an die anderen Ausbilder zu wenden, an die vorgesetzte Dienststelle, an den Polizeipsychologen? Und was war jetzt eigentlich los? Respekt konnte niemandem mehr schaden, wieso redeten sie jetzt nicht? Doch, Janin hatte ja bereits etwas gesagt. Und vor ihr war es Anna Koschinski gewesen, die dafür mit dem Leben hatte bezahlen müssen, entweder aus Verzweiflung, dass niemand etwas unternahm, um ihr und den anderen zu helfen, oder weil tatsächlich jemand so weit gegangen war, sie still zu stellen. Und einer derjenigen, die auf ihre Hilferufe nicht reagiert hatten, war Tabori selber gewesen. Wenn auch unabsichtlich, aber das änderte nichts daran, dachte Tabori, dass sie vielleicht noch leben könnte, wenn …
Kurz nachdem sie zu Hause die Hunde versorgt hatten, fing es an zu regnen. Sie machten das Fenster im Wohnzimmer weit auf, um das Rauschen auf den Blättern zu hören. Tabori öffnete eine Flasche Wein, keiner von ihnen hatte Lust, etwas zu essen zu machen, Lisa brachte eine Tüte Reiscracker, die sie auf einen Teller schüttete, der dann unberührt auf dem Tisch stehen blieb.
Als es zu frisch im Zimmer wurde, schlossen sie das Fenster wieder. Tabori suchte eine CD aus dem Regal, Marianne Faithfull, »Blazing Away«. Ihr Musikgeschmack war extrem unterschiedlich, aber sie konnten sich beide für außergewöhnliche Frauenstimmen begeistern, wenn ihnen Marianne Faithfull zu anstrengend wurde, hörten sie häufig auch Chrissie Hynde oder seit Neustem Eleonor McEvoy, eine frühere Violonistin des irischen Rundfunkorchesters, die scheinbar mühelos die unterschiedlichsten Instrumente beherrschte und deren CDs Tabori zum ersten Mal eher zufällig im Plattenladeneines alten Schulfreundes entdeckt hatte. Aber heute war ein Tag für die Jazz-Improvisationen der Musiker, die Marianne Faithfull bei ihren Ausflügen in die verschiedensten Stilrichtungen begleiteten. Die CD war ein Live-Mitschnitt eines Konzertes aus der St. Anne’s Cathedral in Brooklyn von 1989.
Irgendwann musste Tabori im Sessel weggedämmert sein, er wurde wach, weil Rinty ihm hartnäckig die Schnauze in die Kniekehle wühlte. Lisa lag ausgestreckt auf dem Sofa und murmelte im Schlaf irgendetwas vor sich hin, ihr Atem ging gleichmäßig.
Tabori strich Rinty über den Kopf, sofort war auch Beago da und blickte schwanzwedelnd zur Tür. Die Hunde wollten noch mal raus, und wie schon öfter kamen sie dann zu Tabori, als wäre es selbstverständlich, dass sie Lisa nicht wecken durften.
Tabori legte eine Decke über Lisa, dann nahm er seine Jacke und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, die er draußen rauchen wollte, während er die anderen Hunde aus dem Zwinger holte, um eine kurze Runde mit dem Rudel zu drehen.
7
Der Besuch bei dem Hauptkommissar von der Drogenfahndung war alles in allem ein Flop. Tabori fand den Hauptkommissar vom ersten Blickkontakt an unsympathisch, das Gefühl beruhte eindeutig auf Gegenseitigkeit. Tatsächlich lebte Hans Meier auf einem Pferdehof im Leinebergland, ein großes Stallgebäude mit einer Reihe von Schuppen und einem Einheitsbungalow aus den Sechziger Jahren in der hügeligen Landschaft, im Tal lag der Ort Kreiensen, an der Einfahrt zum Grundstück flappte ein Windrad. Tabori mochte Pferde nicht besonders, sie waren ihm zu groß und vor allem zu unberechenbar, demzufolge waren ihm
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