Kein Erbarmen
auch Hufschmiede nicht ganz geheuer, er konnte sich nur schwer vorstellen, wieso jemand jeden Tag aufs Neue riskierte, von wenigstens 400 Kilo Lebendgewicht an die nächste Wand gedrückt zu werden. Aber dann war es ausgerechnet der Hufschmied, der mit ihnen zumindest irgendeine Art von Unterhaltung führte, während sie in der zugigen Stallgasse standen und Hans Meier keinerlei Reaktion zeigte.
»So, aus Hannover kommt ihr also«, hatte der Hufschmied gesagt. »Hartwig Steenken war auch aus Hannover oder jedenfalls da aus der Nähe.«
»Wer?«, fragte Tabori.
»Der Springreiter. Kennt ihr die Geschichte, wie er gestorben ist? Er war betrunken und hat sich von einem Kumpel nach Hause bringen lassen. Und als ihm schlecht wurde, hater die Scheibe runtergekurbelt und den Kopf rausgehalten. Aber genau da kam so ein Laternenpfahl und, bumms, das war’s dann auch schon.«
Tabori stimmte zu, dass das zweifellos kein schönes Ende war. In der berechtigten Sorge, dass der Hufschmied noch mehr solcher Geschichten auf Lager hatte, versuchte Lisa dann, auf das Thema zu kommen, wegen dem sie überhaupt da waren. Aber aus Hans Meier war kaum mehr als ein gelegentliches ›Ja‹ oder ›Nein‹ herauszubekommen. Ja, er war jetzt schon länger nicht mehr in Hannover. Doch, er war noch bei der Polizei. Aber er hatte schon immer gerne mit Pferden zu tun gehabt, und als sich die Möglichkeit bot, einen kleinen Hof zu pachten, hatte er zugeschlagen. Nein, er wusste nichts weiter über die Praktiken bei der Hundeausbildung. Und wieder ja, er hatte Respekt bzw. Joschonick noch zu seiner Zeit bei der Drogenfahndung in Hannover bei verschiedenen Einsätzen kennen gelernt, einmal waren sie auch zusammen auf einer Tagung gewesen, auf der sich Respekt deutlich daneben benommen hatte. Aber da war er nicht der Einzige gewesen, auch andere höhere Dienstgrade hatten zu viel getrunken gehabt und mehr oder weniger das Tagungshotel zerlegt und die übrigen Gäste lautstark beschimpft. Und noch mal ja, er hatte Verschiedenes über Respekt gehört, aber nein, dazu wollte er sich lieber nicht äußern.
Bis es Tabori schließlich zu dumm wurde und er in den Nebenraum ging, um Kaffee zu kochen. Der mit ein paar billigen Plastikstühlen und einem ausrangierten Küchentisch eher notdürftig möblierte Raum schien Hans Meier gleichzeitig auch als Büro zu dienen, auf einer mit Winkeleisen an der Wand befestigten Schreibplatte stapelten sich Equidenpässeund Rechnungen für Futter und Tierarztbesuche. Während der Kaffee blubbernd durch die Maschine lief, blätterte Tabori aus alter Gewohnheit einen Aktenordner durch, der mit »I.E.« beschriftet war. Gleich das erste Blatt zeigte einen offiziellen Briefkopf mit dem niedersächsischem Landeswappen, über dem Aktenzeichen fand sich die Zeile »Dezernat Interne Ermittlungen«. Er wollte gerade anfangen zu lesen, als Hans Meier dazu kam und ihm wortlos den Ordner aus der Hand nahm und beiseite legte.
»Sorry«, sagte Tabori. »Schlechte Angewohnheit, ich weiß. Zwanzig Jahre Beruf, das wird man nicht so schnell wieder los. Ich entschuldige mich, tut mir leid.«
Hans Meier machte sich eine Weile an der Kaffeemaschine zu schaffen, als er Tabori einen vollen Becher in die Hand drückte, sagte er unerwartet: »Okay, dann weißt du ja Bescheid. Wir waren auch an Respekt dran, zumindest hatten wir das vor, aber uns fehlen die Leute, wie überall. Aber jetzt sind sowieso deine Kollegen vom Gewaltverbrechen gefragt, wir haben damit eigentlich nichts mehr zu tun …«
Bevor Tabori noch etwas erwidern konnte, kam Lisa in den Raum, Hans Meier grinste Tabori noch mal an und sagte wie nebenbei: »Dich hatten wir übrigens auch schon mal auf der Liste, aber das dürfte dir ja wahrscheinlich klar sein.« Dann wechselte er abrupt das Thema und machte trotz Taboris nachvollziehbarer Verwirrung ein paar Punkte wett, als er – plötzlich unerwartet gesprächig – Lisa nach ihrer Arbeit mit den Hunden fragte und deutlich wurde, dass er Lisa fast bewunderte: »Ich habe in den ganzen Jahren bei der Drogenfahndung nie jemanden kennen gelernt, der sich so auf Hunde versteht wie du. Manchmal habe ich fast schon gedacht,du weißt wirklich, wie sie ticken. Jedenfalls ist es eine ganz besondere Gabe, die du da hast. Ich wäre froh, wenn ich auch nur im Ansatz so ein Verhältnis zu meinen Pferden hätte, das würde vieles leichter machen.«
Im gleichen Moment meldete Taboris Handy eine SMS. Tabori las den Text und ging vor die
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