Kein Erbarmen
den Hunden unternommen, wir fahren ein bisschen raus und haben Spaß, okay? – Ruf mich an, wenn du was Neues hast. Und pass auf dich auf!«
Eine Weile stand Tabori noch am offenen Fenster. Der Himmel war verhangen, der Wind hatte gedreht und kam jetzt von Osten, die nahe gelegene Autobahn dröhnte sechsspurig herüber.
Tabori versuchte noch mal, Lepcke auf seinem Handy zu erreichen, aber der Anruf ging nicht durch. Oder Lepcke hatte ihn weggedrückt, nachdem er seine Nummer gesehen hatte.
Er schmierte sich zwei Brötchen und packte wahllos ein paar Sachen in seine Reisetasche. Er hatte nicht vor, länger alsnötig zu bleiben. Er nahm die Schlüssel für den silbernen Passat vom Haken, den er vor einiger Zeit auf einer Polizeiauktion günstig ersteigert hatte, und fuhr zur nächsten Tankstelle, um vollzutanken und den Reifendruck zu kontrollieren. Zehn Minuten später bog er in die Auffahrt zur Autobahn ein.
8
Elsbet wirkte angestrengt. Schon als Tabori am frühen Abend zuvor unangemeldet im Lerup Strandhotel aufgetaucht war, war der Empfang eher kühl gewesen. Sie hatte das Haus bis unters Dach voll gehabt mit den Gästen einer Hochzeitsfeier, zu denen – wenn Tabori sie richtig verstanden hatte – auch der dänische Landwirtschaftsminister gehörte. Die Küche rotierte, der Speisesaal war bis auf den letzten Platz besetzt, Tabori wartete über eine Stunde in dem kleinen Rauchersalon, bis eines der Bedienmädchen mit seiner Scholle kam. Das Bedienmädchen war nicht die Vietnamesin, die er bei seinem letzten Aufenthalt in seiner Ratlosigkeit des Diebstahls oder zumindest der Unachtsamkeit verdächtigt hatte, schien aber genau zu wissen, wer er war beziehungsweise welche Ungeheuerlichkeit er sich geleistet hatte. Wortlos hatte sie ihm einen nur kniehohen Tisch eingedeckt, das Essen serviert und war ebenso wortlos wieder verschwunden.
Später hatte er noch einen langen Spaziergang durch die grünen Dünen bis zur Grasklippe von Skovsbjerg gemacht. Für einen Moment hatte er überlegt, ob er jetzt gleich den steilen Pfad zu dem von Gras und Heidekraut überwucherten Bunker hinauflaufen sollte, aber in der einsetzenden Dämmerung hätte er ohnehin kaum noch etwas erkennen können. Also war er stattdessen barfuß und mit hochgekrempelten Hosenbeinen am Flutsaum zurückgelaufen. Noch später hatte er hellwach in seinem Bett gelegen – Elsbet hatte nur noch einnicht benutztes Dienstbotenzimmer direkt über der Küche mit Blick auf den Abfallcontainer für ihn gehabt – und auf die Geräusche gehört, die die anderen Hotelgäste machten, als sie zurück in ihre Zimmer kamen. Irgendwann in der Nacht war er noch mal hochgeschreckt, als unter seinem Fenster ein lautstarker Streit ausgetragen wurde. Eine Weile hatte er hinter der Gardine gestanden, aber kaum mehr erkennen können als den Koch, der leicht an seiner hohen Mütze und der weißen Schürze zu identifizieren war, und dem vagen Umriss einer Frau, die womöglich Elsbet selber gewesen sein konnte. Tabori war sich sicher, ihre Stimme erkannt zu haben, hatte aber nicht gewagt, das Fenster zu öffnen.
Jetzt lief Elsbet schon zum wiederholten Mal mit dem Handy am Ohr an seinem Frühstückstisch vorbei. Es war kurz nach acht, die Hochzeitsgäste waren noch nicht erschienen, Elsbet hatte ihm eher barsch erklärt, dass sie ab neun seinen Tisch brauchen würde. Als er sich die zweite Tasse Kaffee einschenkte, setzte sie sich plötzlich zu ihm und schob ihm einen fotokopierten Handzettel hin. »Efterlysning« las Tabori die fett gedruckten Buchstaben, darunter war das Schwarz-weiß-Foto von Elsbets Dackel, Frederik, mit dem Eingang zum Hotel im Hintergrund, und ein paar Zeilen auf Dänisch, von denen Tabori nur das Datum, 6. September, ohne Mühe verstand.
»Ich bin im Stress«, sagte Elsbet, als wollte sie sich für ihre wenig gastfreundliche Hektik entschuldigen. »Frederik ist entlaufen, in den Tagen, als du hier warst, irgendwo im Geländer, und er ist immer noch verschwunden.«
»Wo?«, fragte Tabori irritiert von dem »Geländer«, gleich darauf begriff er, was sie meinte.
»Im Dünengeländer«, sagte Elsbet, »und nichts mehr gesehen von ihm seit da, aber eben hat ein Herr angerufen von Hjardestrand, dass er einen Dachshund gesehen hat, aber das war schon letzte Woche. Ich weiß nicht, was ich machen soll, er war süß, du kennst ihn, vielleicht hat ihn ein Gast …« Sie machte eine Handbewegung, als würde jemand etwas in die Tasche stecken. »Aber ich
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