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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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bis zum Anschlag durch, das Automatikgetriebe reagierte mit heftigem Rucken, jaulend schlingerte der Passat über die Fahrbahn.
    Aber der Vorsprung, den ihm das plötzliche Manöver verschafft hatte, verringerte sich in erschreckend kurzer Zeit, es dauerte keine halbe Minute und der Mitsubishi schob sich schon wieder heran, um dann im letzten Moment vor dem Zusammenprall dröhnend an Tabori vorbeizuziehen. Der Beifahrer im offenen Seitenfenster zeigte ihm mit höhnisch aufgerissenem Mund den ausgestreckten Mittelfinger, gleichzeitig stemmte sich der Fahrer auf die Hupe, die jedes Signalhorn eines Fernlasters zum Kinderspielzeug erklärte. Von der offenen Ladefläche hinter der Fahrerkabine grölten ihm zwei oder drei Jugendliche mit bunten Abiturientenmützen zu, instinktiv stieg Tabori in die Bremse, als eine Bierdose geflogenkam und direkt vor seiner Kühlerhaube auf der Fahrbahn explodierte.
    Dann war der Spuk vorüber. Tabori kroch jetzt mit 20 Stundenkilometern dicht am Seitenstreifen dahin und versuchte, das Zittern seiner Knie unter Kontrolle zu bekommen. Gleich darauf merkte er, wie er wütend wurde. Er hatte sich von einer Horde angetrunkener Jugendlicher in Panik versetzen lassen, die mit Sicherheit ihren Spaß mit ihm gehabt hatten. Für einen Moment dachte er tatsächlich an so etwas wie Rache. Wenn er sie jetzt an der nächsten Tankstelle zufällig noch mal erwischen würde, würde er nicht lange fragen, sondern nur den Fahrer hinter dem Lenkrad hervorzerren und ihm links und rechts eine verpassen. Hör auf, Tabori, dachte er gleichzeitig, du spinnst, du bist nicht Bruce Willis. Aber es ärgerte ihn, dass er sich noch nicht mal das Kennzeichen gemerkt hatte, um sie anzuzeigen.
    Er fummelte eine Zigarette aus der Lederjacke, als er sich zum Zigarettenanzünder vorbeugte, roch er den Schweiß unter den Achselhöhlen. Er hatte Angst gehabt, und seine Reaktion stand im krassen Widerspruch zu den Erfahrungen, die er als Ex-Polizist zwangsläufig auch mit Situationen hatte, die tatsächlich gefährlich gewesen waren. Aber er wusste genau, was passiert war, die kurze Episode eben hatte die Erinnerung an einen Vorfall wachgerufen, den er gerne für immer vergessen wollte. Auch damals waren es betrunkene Jugendliche gewesen, die ihn und Lisa nach einem Tankstopp verfolgten, um ihrem Frust Luft zu machen. Und er selber hatte die Situation so falsch eingeschätzt, wie es nur ging, und als nicht bedrohlich abgetan. Was genau der Fehler gewesen war, der dann eins zum anderen kommen ließ und mit Lisas Vergewaltigung endete.
    Er warf die halb gerauchte Kippe aus dem Seitenfenster. Dann bremste er und setzte mit eingeschalteter Warnblinkanlage zurück, stieg aus und zertrat den glimmenden Rest auf dem Asphalt. Er wollte nicht schuld sein, wenn der nahe gelegene Kiefernwald in Flammen aufging. Die Hitze und die lange Trockenheit des Sommers ließen die Gefahr eines Waldbrandes mit jedem Tag größer werden.
    Ein Moped knatterte vorüber. Mit dem altertümlichen Helm sah der Fahrer aus wie ein ameisenähnliches Wesen von einem anderen Stern. Er hob im Vorbeifahren die Hand und winkte Tabori zu. Tabori grüßte mit einem Kopfnicken zurück. Über dem Wald türmte sich eine weiße Wolkenwand, vielleicht würde der Regen, auf den hier alle warteten, doch noch kommen.
    Tabori stieg wieder ein, um an der nächsten Abzweigung zu wenden. Bei seiner Flucht vor dem Mitsubishi war er in die falsche Richtung geraten, er musste wieder zurück nach Lerup und von dort nach Lerup Strand und zur Klippe von Skovsbjerg.
    An der Abzweigung stand ein Schild: »Ejstrup Mohair-Butik, 300 Meter«, darunter die Öffnungszeiten und der Hinweis auf »Pullover und Decken aus feinster Mohairwolle«. Tabori erinnerte sich jetzt, bei Elsbet auf dem Tresen einen Werbeprospekt gesehen zu haben. Kurz entschlossen folgte er dem Schild, ein letzter Versuch, dachte er, vielleicht hatte sich die Anwärterin ja eher von Mohairpullovern als buntem Nippes oder naiven Fischkutterbildern anlocken lassen.
    Ejstrup empfing ihn mit einem verlassenen Bauernhof, dessen Dach bereits zur Hälfte eingestürzt war, ein Stück weiter kam ein typisch dänisches Wohnhaus mit gelber Klinkerverkleidungund welleternit-gedecktem Carport, im Vorgarten standen mehrere Autowracks, auch ein Buckelvolvo aus den Fünfziger Jahren. Danach zweigte ein Schotterweg zur Mohairfarm ab, der Passat rumpelte durch tiefe Schlaglöcher, die Doppelreihe neu gepflanzter Bäume würde, sollte die

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