Kein Erbarmen
die Tabori begeistert hatten – und die Kerzen waren nicht nur mit einer dünnen Farbschicht ummantelt, sondern durchgefärbt, was sie von den – allerdings deutlich billigeren – Supermarkt-Produkten unterschied. Im ehemaligen Kuhstall hatte jedes Mal, wenn Tabori durch die Reihen stöberte, ein alter Mann auf einem Schemel gesessen und mit rot verquollenen Händen seine Kerzen gezogen. Sein keuchender Husten, der bis in den Laden zu hören war, gehörte ebenso zu den Besuchen wie der dichte Stearinrauch, der durch die Verbindungstür herüber drang. Aber in den letzten Jahren hatte sich der Laden verändert und war mehr und mehr zu einer langweiligen Ansammlung von Dekorationsartikeln geworden, wie sie auch jeder Nippesladen in Blokhus oder Løkken für die Touristen bereithielt. Auch der hustende Alte war eines Tages zu Taboris großem Bedauern verschwunden gewesen. Also hatte Tabori beim letzten Mal denn auch tatsächlich auf den obligatorischen Einkauf verzichtet.
Als er jetzt auf den Hof fuhr, glaubte er im ersten Augenblick, er wäre in irgendeinem Disneyland gelandet – hunderte von grellbunten Gartenzwergen standen aufgereiht im Kies vor der Scheune, die neueste Attraktion aber schienen verschieden große Nessie-Abbildungen zu sein, die in jeweils fünf bis sechs Einzelteilen hintereinander angeordnet den Eindruck erwecken sollten, dass sich da gerade das schottische Seeungeheuer durch den Garten wühlte. Kopfschüttelnd betrat Tabori den Laden. Der Sohn des alten Mannes, den Tabori vom dürren Jugendlichen zum übergewichtigen Mann hatte heranwachsen sehen, gab mit keiner Miene zu erkennen, dass er sich an Tabori erinnerte. Und auf das Foto der Anwärterin, das Tabori ihm über den Tresen zuschob, reagierte er nur mit einem Schulterzucken und einem unwirschen »nej«.
»Tak, farvel«, sagte Tabori und verließ das Geschäft, ohne die Kerzen, die immer noch mit ihren regenbogenbunten Farben lockten, auch nur eines Blickes zu würdigen. Dafür bereitete es ihm eine fragwürdige Genugtuung, beim Hindernislauf zwischen den stillosen Gartendekorationen hindurch eines der Ungeheuer von Loch Ness mit der Schuhspitze zu Boden zu schicken.
Auch in der kleinen Galerie in Lerup hatte er zunächst kein Glück. Der Künstler empfing ihn persönlich im indischen Hemd und mit kurzen Hosen, die unvermeidlichen Clogs waren mit Farbspritzern übersät. Die Bilder an der Atelierwand – das Atelier war gleichzeitig auch der Verkaufsraum – zeigten ausnahmslos das immer gleiche Motiv in verschiedenen Variationen. Die dickbauchigen Fischkutter von Lerup Strand, die es schon lange nicht mehr gab, dahinter das Meer,entweder stürmisch unter einem dramatisch gefärbten Himmel oder weniger aufregend als friedliche Sommerpostkarten-Ansicht vor diesem endlosen Blau, dessen Leuchtkraft Tabori schon wieder schwindeln ließ, obwohl es nur gemalt war.
»Was ist das für eine Farbe?«, fragte er irritiert.
»Acryl. Die Touristen mögen es, wenn es bunt ist. Und es muss groß sein, aber auch nicht zu groß, sonst passt es nicht ins Auto zum Mitnehmen. Es darf auch nicht zu viel kosten, sonst gehen die Leute zu Ikea und kaufen einen Fotodruck. Ein bisschen mehr als Ikea ist gut, dann ist es Kunst, sehr viel mehr ist nicht gut, dann ist der Künstler größenwahnsinnig und will dich … abzocken, stimmt das?«
»Abzocken, ja.«
»Abzocken. Weil er ist Millionär und will immer noch mehr, damit er seine Drogen bezahlen kann.«
»Schon klar«, nickte Tabori, »es ist wahrscheinlich nicht leicht, hier als Künstler zu überleben.«
Was redest du da, dachte er gleichzeitig, geht es noch platter?
»Du magst Farben?«, sagte der Künstler, als hätte er Taboris jämmerlichen Kommentar nicht gehört. »Komm, ich zeig dir was!«
Er fasste Tabori am Ellbogen und zog ihn in den angrenzenden Raum. Die Stirnseite wurde zur Gänze von einem Gemälde eingenommen, eigentlich nur eine monochrome Farbfläche, ein leicht stichiges Sonnengelb.
Der Künstler dirigierte ihn zu einem einfachen Holzstuhl.
»Setz dich und guck dir die Farbe an. Konzentrier dich nur auf das Gelb.«
Tabori kam sich ein bisschen albern vor. Wie ein Kind, vondem erwartet wurde, dass es gleich begeisterte Überraschung zeigen würde. Er spürte die Hand des Künstlers auf seiner Schulter. Ein fester Druck, der ihn aufforderte, sich einzulassen auf die Farbfläche vor ihm.
Tabori schloss die Augen. Aus einem grellen Lichtpunkt heraus entwickelten sich konzentrische
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