Kein Erbarmen
an.
»Sitz«, sagte er. »Bleib.«
14
Er drückte vorsichtig die Klinke und warf einen Blick auf das abgedunkelte Zimmer, das Lisa und er für eventuelle Gäste mit ein paar einfachen Ikea-Möbeln und alten Kinoplakaten an der Wand eingerichtet hatten. Quer über dem Doppelbett lag Svenja, sie hatte sich noch nicht mal die Mühe gemacht, unter die Bettdecke zu kriechen, ihr T-Shirt war hochgerutscht, das Tattoo über ihrem Bauchnabel kannte Tabori noch nicht.
Ihr Atem ging gleichmäßig, aber der Geruch nach Alkohol und Dope ließ Tabori annehmen, dass sie sich wieder mal weggeschossen hatte. Er legte ihr eine leichte Wolldecke über und verließ das Zimmer ebenso leise wie er gekommen war.
Beago nieste wieder, zusammen stiegen sie die restlichen Stufen zu Taboris Wohnung hinauf.
Svenja war die Freundin von Lisas kleinem Bruder gewesen, seit seiner Ermordung war sie mehr oder weniger auf die schiefe Bahn geraten. Sie hatte das Studium abgebrochen und wohnte eigentlich wieder bei ihrer Mutter, hing aber meistens mit ein paar Typen rum, die Tabori inzwischen bestenfalls nur noch als Spinner abtun konnte. Er hatte Svenja einmal in der Wohngemeinschaft in dem besetzten Haus besucht, seine grundsätzliche Sympathie für die Hausbesetzer in der Nordstadt hatte sich schnell verflüchtigt, als sie ihn noch nicht mal gegrüßt, sondern nur verächtlich gemustert hatten. Was Tabori ihnen vorwarf, war, dass sie noch nicht mal im Ansatzdie Bereitschaft aufbrachten, sich auf jemanden einzulassen, der nicht ihrem Bild entsprach, das die Welt in Gut und Böse einteilte und sich dabei genau der Vorurteile bediente, die sie so vehement zu bekämpfen versuchten. Es hatte nichts mit seinem Beruf zu tun gehabt, von dem sie nichts wussten – und den Svenja ihnen wohlweislich verschwiegen hatte –, er war für sie allein schon aufgrund seines Alters nur ein weiterer Vertreter der verhassten Spießergesellschaft, der es nicht verdiente, dass man ihm eine Chance gab.
Dass Svenjas wachsender Graskonsum dann auch zu den üblichen Folgen wie Anzeigen wegen Ladendiebstahl und wiederholtem Schwarzfahren mit der U-Bahn führte, war absehbar gewesen, aber weder Tabori noch Lisa waren in der Lage, mehr für Svenja zu tun, als ihr eine Anlaufstelle zu bieten, wenn sie reden wollte. Ihr Angebot, ganz bei ihnen einzuziehen, hatte sie rundheraus abgelehnt, die Lehrstelle in der Theatertischlerei, die sie sich mit Taboris Hilfe gesucht hatte, hatte sie dann gar nicht erst angetreten, sondern war lieber mit ihren Leuten zu einem Festival irgendwo in Tschechien getrampt. Aber sie war Mitte zwanzig und konnte längst machen, was sie wollte.
Trotz allem fühlten sich Tabori und Lisa auf irgendeine Weise immer noch für sie verantwortlich. Svenja hatte einen Schlüssel fürs Haus und kam spätestens dann, wenn sie dringend Geld brauchte. In den letzten zwei Monaten hatte Tabori sie allerdings nicht mehr gesehen. Der einzige Kontakt waren zwei Handy-Telefonate gewesen, die sie mit Lisa geführt und bei denen sie erzählt hatte, dass sie eine Ausbildung als Heilerzieherin angefangen hätte. Was weder Lisa noch Tabori ihr geglaubt hatten.
Tabori war im Halbschlaf, als die Hunde anschlugen und kläffend die Treppe hinunterjagten. Ihr Kläffen war hell und aufgeregt, was nur bedeuten konnte, dass Lisa nach Hause gekommen war. Tabori hörte, wie sie mit den Hunden sprach. Er drehte sich auf die Seite und war in Sekunden endgültig eingeschlafen.
Er träumte von den beiden Anwärterinnen, die er noch mal aufsuchte, um ihnen neue Fragen zu stellen. Und mit denen er dann – wieso auch immer – im Bett landete. Dass die eine der beiden Svenjas Tattoo an einer höchst intimen Stelle trug, machte die Sache nicht unbedingt besser. Als er aufwachte, fand er sich selber einfach nur peinlich.
Es regnete immer noch. Es war kurz nach neun, er meinte, aus der Küche irgendwelche Geräusche zu hören, und schlappte ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Sein Gesicht im Spiegel kam ihm alt vor, einzelne Bartstoppeln am Kinn und auf den Wangen waren grau, was ihm nicht gefiel. Ihm fehlte die Energie, sich zu rasieren.
Svenja hatte Kaffee gekocht. Sie nickte Tabori zu und schob ihm wortlos eine Tasse hin, während sie die Schlagzeilen der Zeitung studierte.
»Und?«, fragte Tabori und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
»Nichts und«, sagte Svenja. »Alles okay.«
Einen Moment lang schwiegen sie sich an. Die Hunde strichen schweifwedelnd um ihre Beine. Ihr
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