Kein Erbarmen
Fell war nass und sie hinterließen feuchte Abdrücke auf dem Holzboden.
»Du warst mit ihnen draußen?«, fragte Tabori und war leicht irritiert, dass Svenja sich ausnahmsweise mal um etwas anderes gekümmert haben sollte als nur um sich selbst.
»Nicht ich«, antwortete Svenja, ohne den Blick von der Zeitung zu nehmen. »Der Alte. Echt hart drauf, der Typ! Hat erzählt, dass er heute Morgen schon eine Stunde draußen rumgerannt ist. Und nicht nur mit Rinty und Beago, sondern mit dem ganzen Rudel! Im Regen, Mann, und voll die verbotenen Klamotten an, so einen langen Mantel, wie ihn Reiter haben, und auch noch so einen Hut dazu … Leichen pflastern seinen Weg und so, du weißt schon. Aber ich glaube, er ist trotzdem okay, hier, guck mal, hat er mir gegeben.«
Svenja zog einen zusammengefalteten Fünfzig-Euro-Schein aus ihrer Jeanstasche.
»Einfach so, echt«, redete sie weiter, »obwohl ich nichts gesagt habe, aber kann ich gut gebrauchen.«
»Welcher Alte?«, fragte Tabori. »Von wem redest du?«
Svenja blickte ihn jetzt zum ersten Mal direkt an, als wäre sie irritiert von seiner Begriffsstutzigkeit.
»Mann, was weiß ich! Er ist gestern Abend hier aufgetaucht, als ihr beide nicht da wart. Er hat irgendwas mit Lisa zu tun, glaube ich, ist ihr Vater oder so was.«
Der Mercedes mit dem Berliner Kennzeichen, dachte Tabori, und: Natürlich, Lisas Vater lebte in Berlin! Aber ich wusste nicht, dass er einen alten Mercedes hat. Ich wusste auch nicht, dass er kommen wollte, Lisa hat nichts davon erwähnt …
Der Kontakt zwischen Lisa und ihrem Vater war nicht unbedingt der beste. Sie telefonierten in größeren Zeitabständen miteinander, mehr nicht. Warren war ein Eigenbrötler, wie er im Buche stand. Er musste jetzt über sechzig sein, ein Maler, der eine Zeit lang ganz ordentlich mit seinen Bildern verdient hatte, aber sich dann völlig aus dem Kunstmarkt zurückgezogenund jeglichen Kontakt zu Freunden und Verwandten abgebrochen hatte. Auch zu Lisa. Sie redete nicht gerne über ihn, und Tabori hatte auch nie wirklich nachgefragt. Er hatte Warren nur einmal gesehen, auf der Beerdigung von Lisas kleinem Bruder, Warrens Sohn. Damals hatte er ihn spontan sympathisch gefunden, vielleicht war es auch Mitleid gewesen, Warrens Frau war kurz vorher gestorben und dann wurde auch noch sein Sohn ermordet! Tabori hatte nie verstanden, warum sich Warren und Lisa damals in ihrer Trauer nicht aneinander klammerten, sondern jeder seine eigenen Wege ging.
Tabori merkte, dass Svenja ihn beobachtete.
»Und wo ist er jetzt?«, fragt er.
Svenja zuckte mit den Schultern.
»Er wollte nicht ins Gästezimmer, deshalb habe ich ihm deinen alten Zirkuswagen im Garten gezeigt. Fand er gut. Also haben wir seinen Kram reingeschleppt und es ein bisschen gemütlich für ihn gemacht.«
»Seinen Kram? Du meinst …«
Seine Reisetasche, wollte Tabori sagen, aber Svenja unterbrach ihn.
»Klar, die Kartons und das alles. Der Mercedes war echt voll bis unters Dach! Hat ganz schön lange gedauert, das da alles hinzuschleppen. – Du weißt schon, dass er hier bleiben will, oder?«, setzte sie dann hinzu. »Also, dass er jetzt bei euch eingezogen ist, meine ich?«
Tabori tippte sich an die Stirn.
»Du versuchst, mich hochzunehmen!«
»Ganz cool«, grinste Svenja. »Keine Panik, er ist echt okay.« Sie stand auf und schob den Stuhl zurück. »Ich muss los. Ich hab eine Verabredung wegen einem neuen Job. Ich soll michda heute vorstellen. Also, danke für den Kaffee und so. Und grüß Lisa und den Alten. Ich komme demnächst mal wieder vorbei, weil, also, das will ich schon sehen, wie ihr das jetzt hier so macht zu dritt!«
Sie bückte sich zu den Hunden und kraulte sie hinter den Ohren. Dann war sie weg.
Tabori starrte durch das Fenster in den Garten hinaus. Die Regentropfen an der Scheibe ließen den Umriss des Zirkuswagens zu einem bräunlichen Fleck verschwimmen. Tabori hatte den Wagen von alten Freunden gekauft, die zu einem Wanderzirkus gehört hatten, der pleite gegangen war. Er hatte eigentlich nie einen Plan gehabt, was er mit dem Wagen machen wollte, aber die Freunde hatten dringend Geld gebraucht, und Tabori war gerade umgezogen und hatte genügend Platz im Garten gehabt. Außerdem hatte es ihn gereizt, die Nachbarn ein bisschen zu ärgern, für die der Zirkuswagen im Garten nur ein weiteres Indiz dafür war, dass mit Tabori irgendwas nicht ganz stimmen konnte.
Er saß immer noch bewegungslos, als Lisa in die Küche kam.
»Hej«,
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