Kein Fleisch macht gluecklich
Milchleistungen einzelner Kühe von 14000 Litern sind nichts Ungewöhnliches mehr. Klingt beeindruckend, hat aber vermutlich einen Haken.
Milk sucks!
Dass das Leistungsvermögen der Kühe inzwischen an seine Grenzen stößt, zeigt sich daran, dass die Erkrankungen zunehmen. Dafür ist Martens Spezialist: »Während einer Laktationsphase erkranken bisweilen mehr als die Hälfte der Kühe eines Betriebes. Das beeinträchtigt natürlich deren Lebensqualität und verkürzt auch die Lebensdauer der Tiere.« Wenn die Weiterversorgung der Kuh nicht mehr wirtschaftlich ist, kommt es zu frühzeitigen »Abgängen«, also dem Ausscheiden aus dem Produktionsprozess – die Tiere werden geschlachtet. Die Kühe der verbreiteten Rasse Holstein Friesian haben mittlerweile im Schnitt eine Lebensdauer von weniger als fünf Jahren. Damit erreichen sie noch nicht einmal ihr Leistungsmaximum und schon gar nicht ihr natürliches Lebensalter, das bei 25 Jahren liegen kann. Die Ursache für die häufigsten Gesundheitsprobleme wie Euterentzündungen, Klauenerkrankungen und Fruchtbarkeitsstörungen liegt neben der Haltung und Fütterung in der »negativen Energiebilanz« der Kühe, eigentlich ein natürliches Phänomen. Wie bei anderen Säugetieren hat die Versorgung des Nachwuchses mit Milch auch bei der Kuh hohe Priorität und führt dazu, dass sie eigene Energiereserven dafür bereitstellt. »Dann können die Tiere gar nicht so viel fressen, wie sie an Energie verlieren«, sagt Martens. Da die Kühe zur Produktion von immer mehr Milch gezüchtet wurden, hat sich das Ausmaß dieser energetischen Unterversorgung enorm vergrößert und ihre Dauer verlängert. Eine Milchproduktion von 40 Litern täglich erfordert mehr als das Vierfache der Energie, die die Kuh für sich selbst braucht. Da diese Energiemenge selbst mit Kraftfutter nicht gedeckt werden kann, verliert die Kuh inzwischen in den ersten Monaten nach einer Geburt über 100 Kilo Gewicht. Und da die Milchleistung viel leichter zu vererben ist als das Futteraufnahmevermögen, können die Züchter auch nicht gegen die energetische Unterversorgung anzüchten und die »Lebensmilchleistung« offenbar kaum weiter steigern – zumal erwiesenermaßen ein Zusammenhang zwischen Leistung und Erkrankungshäufigkeit besteht.
Dumm dran sind auch die Bauern
Die Schuld sieht Veterinär Martens nicht bei den Landwirten. Auch die seien sich über die züchtungsbedingte Problematik der hohen Milchleistung und der kurzen Nutzungsdauer der Kühe im Klaren. Die Landwirte würden gar nicht noch mehr Milch pro Kuh wollen, erzählt Martens, die wollten, dass die Kühe länger im Betrieb blieben. So aber hätten die Kühe eine durchschnittliche Nutzungsdauer von zweieinhalb Laktationen, und das sei ökonomisch absolut unbefriedigend. Nicht einmal die Bio-Milchkühe würden im Schnitt wesentlich länger gehalten. Das optimale Leistungsvermögen der Kuh ergebe sich in der dritten oder vierten Laktation. In der fünften gehe es dann langsam runter. »In nur zweieinhalb Laktationen müssen ja auch die Aufzuchtkosten erwirtschaftet werden«, sagt Martens, »und das ist in hohem Maße unwirtschaftlich. Aufgrund dieses vorzeitigen Ausscheidens hat sich die Lebensmilchleistung der Kühe in den vergangenen 50 Jahren nicht verändert.« Sie liege nach wie vor bei 20000 Litern.
Die Bauern setzen deshalb oft auf Masse. Zwei Drittel aller 4,2 Millionen deutschen Milchkühe standen 2010 in Herden mit mehr als 50 Tieren. 72 Prozent lebten in Laufställen und immerhin noch 27 Prozent in Anbindehaltung. In Bayern fielen darunter sogar mehr als die Hälfte aller Haltungsplätze. Dort ist auch der Anteil der weidenden Kühe mit 16 Prozent viel geringer als im übrigen Deutschland. Bundesweit standen 2009 wenigstens 42 Prozent aller Milchkühe fast ein halbes Jahr lang auf der Weide.
Was passiert eigentlich mit den Kälbchen? Die weiblichen Nachkommen werden wie ihre Mütter als Hochleistungsmilchkühe gehalten, die männlichen kommen in die Kälbermast. Dazu werden sie zum Teil quer durch Europa in die Mastbetriebe transportiert. In Deutschland dürfen die Kälbchen bis zur achten Lebenswoche in einer Einzelbox mit Vollspaltenboden und ohne Einstreu gehalten werden. Sofern man sie nicht als Jungbullen weitermästet, werden sie nach wenigen Wochen, spätestens aber nach einigen Monaten geschlachtet. Dann liefern sie das Fleisch für Döner oder Wiener Schnitzel und, als Nebenprodukt, das tierische Lab für die Süßmolke im
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