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Kein Freibier für Matzbach

Kein Freibier für Matzbach

Titel: Kein Freibier für Matzbach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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leer. Ich hab sie noch mal gecheckt; null Saft.«
    Matzbach machte eine wegwerfende Handbewegung. »Vielleicht sind sie einfach kaputt. Gibt’s ja.«
    »Ich hab eine an den Akku gehängt, hat ganz normal geladen.« Neumann deutete zum Fenster und ging dorthin; Matzbach folgte knurrend.
    »Hier, hinter dem Vorhang, auf der Fensterbank.«
    Matzbach betrachtete das kompakte Produkt der Firma Sony. »Ein sensationeller Radiorecorder. Und?«
    »Sehen Sie mal – da im Regal hat er ne komplette Anlage, mit Doppeltape. Funktioniert, hab ich ausprobiert, eh Sie wieder damit ankommen. Und im Schreibtisch, in der Schublade, was Kleines; damit kann er mal was abspielen und diktieren, wenn er’s für die Arbeit braucht.«
    »Was?«
    Neumann breitete die Arme aus. »Fragen Sie
mich
doch nicht. Wer von uns beiden ist denn hier der Bekloppte, der Philosophie studiert hat? Aber ich frag Sie – Musik kann er drüben hören; hier hat er das kleine Gerät; und wozu braucht ein Gelähmter, der am Schreibtisch sitzt, ein drittes Ding? Und wenn er es braucht, warum stellt er es dann so weit weg, auf die Fensterbank, wo er nur mühsam drankommt?«
    »Ist denn da was drin? Ein Sender eingestellt oder eine Kassette eingelegt oder was?«
    Neumann blinzelte. »Ja-a. Ne Kassette, halb abgespielt. Die Kiste hat aber Auto-Reverse, also, das spielt endlos, bis man abschaltet. Kein Netzkabel dran; die Batterien drin sind leer, und als ich’s angekuckt hab, stand es auf PLAY .«
    Matzbach deutete auf die große Musikanlage im Regal. »Können wir die Kassette mal hören?«
    »Klar. Moment.« Neumann nahm sie aus dem Kompaktgerät, ging zur Bücherwand, spielte an ein paar Knöpfen. »So.«
    Es begann mitten in einem Satz. Eine unangenehm hohe, nervende Männerstimme trug einen kauderwelschen Text vor, in scheußlich genäseltem Schwäbisch.
    »... und errungen und was nachgeredet ist. Noch mehr, durchschnittliches Verständnis wird ein solches Unterscheiden gar nicht wollen, seiner nicht bedürfen, weil es ja alles versteht. Die Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die Öffentlichkeit, sondern begünstigt ihn. Das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache. Das Gerede behütet schon vor der Gefahr, bei einer solchen Zueignung zu scheitern. Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indifferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist. Die Rede, die zur wesenhaften Seinsverfassung des Daseins gehört und dessen Erschlossenheit mit ausmacht, hat die Möglichkeit, zum Gerede zu werden und als dieses das In-der-Welt-sein nicht so sehr in einem gegliederten Verständnis offenzuhalten, sondern zu verschließen und das innerweltlich Seiende zu verdecken. Hierzu bedarf es nicht einer Absicht auf Täuschung. Das Gerede hat nicht die Seinsart des
bewußten Ausgebens
von etwas als etwas. Das bodenlose Gesagtsein und Weitergesagtwerden reicht hin, daß sich das Erschließen ...«
    Neumann starrte mit zusammengekniffenen Brauen auf einen der Lautsprecher; Matzbach zielte mit der Zigarre auf das Musikgerät und sagte:
    »Chottes Willi. Tun Se dat wech. Das hält ja keine Sau aus.«
    »Sagen Sie!« Neumann grinste, schaltete ab und nahm die Kassette heraus. »Ist das, eh, Philosophesisch, oder was? Dafür sind Sie doch Fachmann.«
    »Nee, das ist keine Philosophie, sondern Heidegger.«
    »Wer ist Heidegger? Der Schwabe, der das liest?«
    Matzbach schob die Zigarre in die Mundmitte, nahm sie zwischen die Zähne und starrte ins Leere. »Die Stimme ... Irgendwo hab ich die Stimme schon mal gehört.« Dann zuckte er mit den Schultern. »Nein, der Text ist von Heidegger. Das war ein Typ, der ganz ausgezeichnet ältere Philosophen gedeutet und analysiert hat. Bloß hat er dann irgendwann gemeint, er müßte selber auch ein bißchen was denken, und das ist voll in die Hose gegangen.«
    »Dann ist das, was ich da alles nicht verstanden habe, also doch Philosophie?«
    Matzbach nahm die Zigarre wieder in die Hand, um damit zu gestikulieren. »Abermals nein. Ist es nicht. Es ist ein Raunen und Mauscheln, Mischung aus ägyptochinesischer Bilderschrift und unglaubwürdigen nordischen Runen – phantasierendes Gebrabbel in einer Privatsprache. Manche Leute finden das ganz toll, weil sie es nicht verstehen und deshalb meinen, es müßte wahnsinnig schwierig und von tollkühner Bedeutlichkeit sein. Es ist aber einfach

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