Kein Freibier für Matzbach
uneitel gewesen) Titel der »für den Nachruf« angefertigten Liste der Veröffentlichungen.
»Kann das denn so simpel sein?« murmelte er schließlich. Er bedachte, was er vom Absender des seltsamen Kondolenzschreibens in dem seltsamen Umschlag wußte, blätterte abermals in den hinterlassenen Papieren, lachte laut und kratzte sich dann den Kopf. Vielleicht war es so einfach – aber wer, außer einem der Beteiligten, konnte das durchschauen? Es fehlten ein paar Steinchen; Matzbach sagte sich, daß jemand außerhalb der geschlossenen Anstalt namens Akademische Philosophie auch bei Kenntnis der fehlenden Steinchen nicht auf derart verquere Gedanken kommen konnte. Kein Kriminalist, wenn sich denn einer auf Tobias Neumanns diffusen Verdacht eingelassen hätte, wäre da fündig geworden.
Baltasar machte sich noch ein paar Notizen, kicherte dabei immer wieder über die simple Monstrosität, knabberte im Geist am Futterball, den die Alma Mater den zu Wanderzügen unfähigen schrägen Vögeln der Philosophie sommers wie winters an die kahlen Äste des Baums der Erkenntnis hängte, packte die Papiere wieder zusammen und ging in Hermines Wohnzimmer, um zu telefonieren. Der Samstagnachmittag erwies sich als gute Telefonzeit, da die meisten Leute, mit denen er sprechen wollte, offenbar zu Hause zwischen Gartenarbeit und Wagenwaschen den Beginn der Sportschau ersehnten.
Als er mit seiner Telefonorgie fertig war, begab er sich wieder auf die Veranda, wo er mit frischgebrühtem Kaffee und einer Montecristo über die anderen Dinge nachdachte. Keine Spur von den Spaziergängern. Keine besonderen Einfälle zu Albo, Wega-Wächtern, Erler, Schutzgelderpressern, der
Spelunke
und Safeknackern. Er versuchte noch einmal, die von Neumann erwähnte Person zu erreichen; diesmal hatte er Glück, und sie war bereit, sich am nächsten Abend mit ihm zu treffen.
Auf der Suche nach Inspirationen streifte er anschließend durchs Haus, bewunderte Hermines präzise Eklektik beim Zusammentragen ausgefallener Möbelstücke, legte sich in eine Badewanne, ließ sich von heißem Wasser durchtränken und widmete sich fruchtbarem Dösen. Als die Wandersleute das Haus mit heimeligem Lärm füllten, bastelte er gerade an zwei Ideen zur Lösung des Problems, das ihm der unerfreuliche Abgeordnete Auerberg an den Hals gehängt hatte. Eine Idee war einfach, die andere derart abstrus, daß er beim Abtrocknen zu johlen und zu quieken begann.
Hermine erschien in der Badezimmertür; Matzbach hatte nicht abgeschlossen. »Zu Hilfe«, sagte sie. »Ich dachte, hier würde eine Sau abgestochen.«
»Ich befleißige mich lediglich frischer Unterwäsche, edle Frowe, und unreinlicher Gedanken.«
»Nicht schon wieder. In deinem Alter sollte man ein bißchen enthaltsamer sein.«
»Ah. Du hast heute schon anders gesprochen. Meinst du wirklich, ich sollte die mir verbleibende Lebenssubstanz durch längere asketische Intervalle strecken?«
»Du liebe Zeit. Und deshalb quiekst du so? Wegen asketischer Intervalle?«
»Mitnichten. Mein Quieken bezog sich auf die möglichen Auswirkungen zweier Telefongespräche, die ich gleich mit deiner Erlaubnis zu führen gedachte. Ich habe übrigens eine Strichliste gemacht, was die bisherigen Gespräche angeht; ich schulde dir schon mindestens zwanzig Mark.«
Hermine nickte. »Sehr ordentlich. Ich glaube, ich lasse dich das in Naturalien abarbeiten, in den Pausen zwischen den besagten Intervallen.«
»Schweißtreibende Aussichten. Nun ja, warum nicht? Ich zieh mich eben zu Ende an, werde dann zweimal telefonieren und euch zustoßen, oder zu euch stoßen.«
»Wei.«
Das erste Gespräch galt einem alten Bekannten namens Morungen, den es nach langer Tätlichkeit als Lokaljournalist zu einem privaten Radiosender verschlagen hatte. Nach Austausch ritueller Boshaftigkeiten bat Matzbach ihn, sich in der Zunft umzutun und festzustellen, ob irgendwo jemand existierte, der möglicherweise vor etwa 25 Jahren über Vorfälle im ostlippeschen Reservat berichtet haben könnte. Der zweite Anruf ging nach New York an einen anderen alten Bekannten beziehungsweise dessen jüngere Frau, eine dunkelhäutige Schauspielerin. Sie waren beide nicht vorhanden; Matzbach sprach ungenaue Grüße und genaue Wünsche auf den Anrufbeantworter und hinterließ Hermines Nummer für einen baldigen Rückruf.
Der Sonntag war verhangen, blieb aber trocken; den größten Teil des Tages weihte man wesentlichen Dingen wie Plaudern und Kaffeetrinken. Matzbach bestand
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